Ein Jahr ist vergangen seit diesem denkwürdigen Sommer 2015. Ein Sommer, der uns noch lange beschäftigen wird und von dem es vielleicht einmal heißen wird, damals hätte der endgültige Niedergang Europas eingesetzt. Noch ist es nicht so weit. Aber es ist schon sehr weit: Brexit, Vizegrad, Orbán und Kaczynski, (vielleicht bald) Le Pen und Wilders.
Wenn der Blick aufs große Ganze fehlt
Vor allem der anschwellende Chor jener, die unentwegt lamentieren, Europa würde nicht funktionieren, aber gleichzeitig alles daran setzen, dass es nicht funktioniert. Weil sie sich immer selbst die Nächsten sind. Nicht erst seit vergangenem Sommer und nicht erst seit David Camerons innenpolitisch motiviertem Brexit-Referendum.
Auch Angela Merkel, die heute vergeblich europäische Solidarität einfordert, hat 2010 drei lange Monate zugewartet, bevor sie nach den Landtagswahlen in NRW bereit war, die notwendigen Hilfsmaßnahmen für Griechenland zu setzen. Oder Victor Orbán. Er befand sich im Frühsommer 2015 im freien Fall und setzte auf Fremdenfeindlichkeit. Die daraus resultierende, überhastete Errichtung eines Grenzwalls an der Grenze zu Serbien sollte die Flüchtlingswelle erst richtig in Gang setzen.
Ohne Merkels taktisches Zaudern damals wäre aus einer Finanzmarktkrise nicht die Eurokrise geworden und ohne Orbáns perfides Manöver wäre die Flüchtlingskrise nicht zur europäischen Existenzkrise geraten. Europas Problem ist die Kurzsichtigkeit seiner Politikerklasse. Europas Problem sind die langfristig zum Scheitern verurteilten Nationalstaaten. Die Globalisierung hat sie schwach gemacht.
Es ist schon richtig, was Karel Schwarzenberg mit Blick auf Österreich dieser Tage so treffend formulierte: „In starken Staaten bestimmt die Außenpolitik die Innenpolitik und in schwachen Staaten die Innenpolitik die Außenpolitik“.
„Wir schaffen es nicht!“
Schwäche hängt mit mangelndem Selbstvertrauen zusammen. „Wir schaffen das“ hat Vertrauen signalisiert, weil es ein Zeichen von Stärke war. Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben. Mittlerweile sonnen sich die meisten Vertreter der politischen Klasse geradezu in dem Gefühl, es nicht zu schaffen. Es schaffen zu wollen, ist schon halber Landesverrat. Politische Lösungen werden erst gar nicht mehr versucht. Dafür gefällt man sich in kleinräumiger, symbolischer Politik: Obergrenzen, Zäune, militärische Präsenz im öffentlichen Raum, Burkaverbot etc. Jede Woche etwas Neues.
Die Problemlösungseffekte solchen Tuns sind bescheiden. Allerdings verstärken sie von Mal zu Mal das Gefühl, man würde in einem permanenten Klima des Ausnahmezustandes leben. Der Ausnahmezustand aber ist das Biotop in dem autoritäre Politiker gedeihen. Die Flucht aus der politischen Verantwortung, wie wir sie gegenwärtig in der Flüchtlingskrise erleben, schafft erst den Raum für verantwortungslose Demagogen.
Deshalb sollten wir Merkels Verhalten in jenen kritischen Septembertagen würdigen.
Ja, Merkel hat entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, damals nicht gezögert und in einem ungewohnten Anfall von Entscheidungsfreude, in Absprache mit Werner Faymann die Grenzen geöffnet. Natürlich war sie von den Ereignissen getrieben, aber sie hat Fakten gesetzt. Wäre sie am 4. September 2015, als Orbán die Situation verantwortungslos eskalieren ließ, dessen Beispiel gefolgt und hätte die deutschen Grenzen dicht gemacht, was wäre dann gewesen? Vor allem was wäre mit Österreich passiert? Es wäre der Big Bang gewesen. Gerade jene Kreise in der ÖVP, die an der Politik Merkels kein gutes Haar lassen, sollten darüber nachdenken.
Merkels Grenzöffnung war ebenso wie der Türkei-Deal im Februar ein Versuch, die Krise in einem europäischen Rahmen zu lösen. Solches hatten ihre Opponenten Seehofer, Orbán & Co nicht im Sinn. Das haben deren kurzsichtige, ausschließlich an der Optimierung des persönlichen Profils orientierten Adepten niemals begriffen.
Merkels europäische Lösung funktionierte aus verschiedenen Gründen nicht. Sie war ganz im Sinne ihrer Präferenz für intergouvernementale Europapolitik nicht mit dem gemeinschaftlichen Europa akkordiert, wurde daher von vielen als „moralisches Oktroy“ oder (in Erinnerung an die austeritätspolitischen Maßnahmen) als neuerliche Anmaßung Deutschlands empfunden und sie war sprunghaft und inkohärent. Zu guter Letzt verlor sie auch die politische Zustimmung, die ursprünglich im Übermaß vorhanden war. Vor allem aber scheiterte sie, weil nicht konsequent an die Integration hunderttausender Flüchtlinge herangegangen wurde. Nach wie vor leben Tausende in Notunterkünften und in vielen Fällen sind die Asylverfahren noch immer nicht eröffnet.
Eine neue Dolchstoßlegende
Dieses Versagen ist der Grund, warum sich in der Bevölkerung massive Ängste breit gemacht haben. Vorfälle in die Flüchtlinge oder Migranten involviert sind, wurden maßlos aufgebauscht, oft schlicht erlogen. Aber sie sind die Basis für eine Hetzkampagne in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Rechte Gruppen bedienen sich in äußerst effizienter Weise der sozialen Medien und sind dabei, ein Paralleluniversum zu schaffen. Auf diese Weise werden Angstgefühle und Frusterlebnisse, die nicht nur mit Flüchtlingen zu tun haben in einen politischen Erklärungsrahmen gesetzt. Flüchtlinge werden zu Invasoren, die das Abendland muslimisieren wollen und die persönliche Lebensplanung der Verängstigten gefährden. Und es gibt nicht nur Sündenböcke, sondern auch Schuldige. Jene, die die Invasoren leichtgläubig oder absichtlich eingeladen hätten. Die eigenen Leute wären schuld. Eine vom „System“ geförderte Willkommenskultur hätte die Menschen dazu verführt, nach Europa zu flüchten. Die Bundeskanzlerin selbst hätte sich in unerträglicher Weise an die Spitze gestellt und mit provokativen Selfies die Fluchtbewegung in Gang gesetzt. Daher wäre es an der Zeit, sie vom hohen Thron zu stürzen. So ungefähr klingt das.
In einem Klima, das Menschen nur mehr als Angehörige von Gruppen, denen man bestimmte Eigenschaften zuschreibt, sieht gelten individuelle Eigenschaften nichts. Menschenrechte werden überflüssig. Mitleid oder persönliche Betroffenheit werden als naive Gefühlsduselei von „Gutmenschen“ denunziert.
Aber wie war es wirklich?
Schuld am Flüchtlingszustrom wäre also die Willkommenskultur, die Menschen geradezu animiert worden, nach Europa zu kommen. Ein Blick auf die Chronologie der Ereignisse widerlegt das, was mittlerweile die Mehrheit der Menschen glaubt. Merkels berühmtes Selfie wurde am 10. September aufgenommen, die Grenzöffnung geschah am 4. September und der Flüchtlingsstrom hatte bereits im Juli deutlich zugenommen, besonders seit sich die Nachricht von der Errichtung des ungarischen Grenzzauns zu Serbien verbreitete. Ich habe das immer wieder von den Flüchtenden gehört, als ich Ende August 2015 die Balkanroute bereiste.
Natürlich gab es Pull-Faktoren. Aber das lässt sich nicht so erklären, wie es die selbst erklärten Retter des Abendlandes möchten. Denn, je mehr Menschen nach Deutschland kamen, umso mehr verbreiteten sich dank der sozialen Medien die Kenntnisse über mögliche Fluchtwege und Fluchtziele. Gewissermaßen die erste digitale Fluchtbewegung, ähnlich dem arabischen Frühling, der so was wie die erste Facebook-Revolution darstellte.
Um zu verstehen, was in diesem Sommer 2015 passierte, muss man die Push-Faktoren heranziehen. Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien (2011) war die überwältigende Mehrheit der Geflüchteten und Vertriebenen fast vier Jahre lang in unmittelbarer Nähe ihrer Heimat verblieben. Weil sie hofften, bald wieder zurückkehren zu können.
Drei Faktoren waren ausschlaggebend, warum sich das plötzlich änderte.
Zum einen der ab Sommer 2014 einsetzende Vormarsch der IS-Terroristen, der vor allem den Nordirak (Niniveh, Sinjar) und Syrien (Raqqa, Rojava) in Schrecken versetzte und hunderttausende Verfolgte unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten in die Flucht trieb. Zum anderen die zunehmende Aussichtslosigkeit eines schnellen Friedens in der Region, die sich mit dem Beginn des russischen Engagements in Syrien deutlich abzeichnete. Den entscheidenden Ausschlag allerdings gab ein schwerwiegender Fehler, der sich ohne weiteres hätte vermeiden lassen. Schon seit Anfang 2015 hatte die internationale Gemeinschaft immer wieder auf den drohenden Kollaps der seit langem chronisch unterfinanzierten Versorgungsstrukturen in den Lagern im Libanon und im Nordirak hingewiesen. Niemand wollte diese Rufe hören. Am Beginn des Flüchtlingstrecks stand eine Reduktion der durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen von 28$ pro Flüchtling auf 13$. Diese Differenz erklärt wohl mehr als Merkels Selfie.
Die fatalen Auswirkungen notorischer Ignoranz
Die Flüchtlingskrise ist Ausdruck eines systematischen, multikausalen Politikversagens. Die Flüchtenden wurden erst dann wahrgenommen, als sie bereits in großer Zahl bei uns angekommen waren. Nur wenige hatten sich Gedanken darüber gemacht, was sich da schon lange angekündigt hatte. Migration, Flucht und Vertreibung, im etablierten Politikbetrieb der Staatskanzleien waren Randthemen, die man besser nicht anrühren sollte und schon gar nicht „Brüssel“ überlassen sollte. Die Formulierung einer einheitlichen europäischen Zuwanderungspolitik oder die Reform des Dublin-Systems, von dem niemand jemals wirklich überzeugt war, wurden auf die lange Bank geschoben. Nur nichts Neues wagen und einfach weitermachen, als ob es keine Probleme gäbe. Augen zu.
Migration und Zuwanderung blieb im Prinzip der nationalen Kompetenz überlassen und damit dem Kalkül nationaler Innenpolitik. Kurzfristige und partikulare Interessen dominierten. Kleinkariertheit, Engstirnigkeit und provinzielle Kirchturmpolitik sind freilich die besten Voraussetzungen für kolossales Scheitern. Das sollte sich in jenem denkwürdigen Sommer 2015 auch weisen.
Es war schäbige Knausrigkeit, die den größten Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg in Gang setzte. Die visionäre Energie der europäischen Staatskanzleien erschöpfte sich darin Einsparungen durchzusetzen, wo es das Wahlvolk nicht unmittelbar spürt. Wie etwa bei der Finanzierung internationaler Hilfsprogramme. In diesem Punkt ist Kritik an Merkel angebracht. Sie gestand den Fehler wenigstens ein: „Wir haben alle…ich schließe mich da ein, nicht gesehen, dass die internationalen Programme nicht ausreichend finanziert sind, dass Menschen hungern in den Flüchtlingslagern, dass die Lebensmittelrationen gekürzt wurden.“
Diese Aussage machte sie anlässlich des EU-Flüchtlingsgipfels am 25. September des Vorjahrs. Damals wurde übrigens eine Milliarde Euro Unterstützung für Syrienflüchtlinge vereinbart. Geflossen ist freilich erst ein Bruchteil.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
Auch ein Jahr danach hat sich nicht wirklich etwas verändert, wie dieses Beispiel zeigt, auch wenn der Zustrom dank des (unmoralischen) Türkei-Deals deutlich zurückgegangen ist.
Die Errichtung von Grenzzäunen innerhalb Europas, in Ungarn und in Mazedonien hat kriminellen Schlepperbanden Rekordeinkünfte beschert. 19.000 Menschen sind allein nach der Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze im März über Ungarn nach Österreich und Deutschland gelangt. Jene, die das Geld nicht aufbringen können, bleiben im Norden Griechenlands oder irgendwo dazwischen hängen. Unter unvorstellbaren Bedingungen. Gelingt es nicht bald, einen großen Teil dieser Menschen in Europa zu verteilen, droht nicht nur eine menschliche Katastrophe, sondern auch eine Destabilisierung Griechenlands. Vor allem würde das europäische Projekt nachhaltigen Schaden erleiden. Dabei geht es nicht so sehr um den illiberalen Block der Visegrád-Staaten. Es würde reichen, wenn die „willigen“ Mitgliedsstaaten beginnen, ihre Zusagen einzuhalten. Erste hoffnungsvolle Ansätze gibt es mit Portugal.
Auch wenn alle Flüchtlinge aus Griechenland und Italien verteilt und der Zustrom auf eine handhabbare Größe reduziert wäre, ist das Problem nicht einmal annähernd gelöst. Es muss sehr rasch, sehr viel mehr für die Integration der in Europa befindlichen Menschen unternommen werden. Vor allem müssen die Asylverfahren zügig und menschenrechtskonform abgewickelt werden. Das ist primäre Angelegenheit der Mitgliedstaaten, aber es braucht einheitliche europäische Standards.
Lasst Europa tun, was es besser kann
Vor allem ist es notwendig, in und nahe den Herkunftsländern Verhältnisse zu schaffen, unter denen die Menschen bereit sind, dazubleiben oder zurückzukehren. Eine energischere, europäische Außenpolitik hätte in der Tat solche Bedingungen schaffen können. Wenn auch kein sofortiger Friedensschluss, dann zumindest ausverhandelte Sicherheitszonen wären im Bereich des Möglichen gewesen. Allerdings muss man das auch wollen und der Außenbeauftragten der EU das entsprechende Mandat erteilen. Das passierte nicht. Nationaler Egoismus, wohin man schaut, auch in der Außenpolitik.
Europa muss nicht nur in der Außenpolitik endlich mit einer Stimme sprechen.
Es muss dazu übergehen, legale Einreisemöglichkeiten für Geflüchtete und Vertriebene aus den von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffenen Gebieten zu schaffen und ein langfristiges Konzept einer ganzheitlichen Migrationspolitik umsetzen.
Geredet wird ja viel darüber. Allein es fehlt an der Umsetzung. Aber nicht, weil es auf der europäischen Ebene keine Konzepte oder keinen politischen Gestaltungswillen gäbe. Kurzsichtigkeit, Kleingeistigkeit und nationalstaatliche Engstirnigkeit haben verhindert, dass es gemeinsame Kontrollen an den Schengen Außengrenzen gibt. Genauso trifft das auf die bisher immer wieder verschleppte Schaffung von Instrumenten legaler Zuwanderung zu. Die Blue Card ist ein erster, aber viel zu bescheiden geratener Ansatz. Man hatte sich auf keine wesentliche Reform einigen können, weil die Angst vor Zuwanderung den Blick verstellt. Vor allem bei jenen Ländern, die von der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Binnenmarktes profitieren. Diese schüren aus innenpolitischen Gründen Ängste vor allem Fremden. Die gegenwärtige abstruse Kampagne des Orbán Regimes zeigt das. Gerade dieser Puszta-Putin, aus dessen Land mehr als 600.000 Arbeitskräfte irgendwo im Westen Europas arbeiten, müsste das wissen:
Migration ist kein Phänomen unserer Tage. Seit es Menschen gibt, wandern sie ein und aus. Relativ neu ist, dass Europa zu einem Einwanderungsziel wurde. Vor einer Generation war das noch umgekehrt. Das spricht zunächst einmal für die Attraktivität des europäischen Modells. Migration wird von Push- und Pull-Faktoren bestimmt. Im Idealfall bedingen sie sich wechselseitig. Es gibt viele Gründe, warum Staaten Zuwanderung positiv sehen sollten. Erfolgreiche Nationen tun dies ja auch. Zumeist sind das wirtschaftliche Gründe. Im Fall Europas auch demografische. Das ist historisch betrachtet tatsächlich neu.
Es gibt aber nicht nur erwünschte Migration. Oft ist sie erzwungen. Menschen müssen aus wirtschaftlichen Gründen (bald wahrscheinlich auch wegen der Klimaerwärmung) ihre Heimat verlassen. Gerade im Falle Afrikas sind diese Push-Faktoren wirksam und zumeist Resultat verantwortungsloser Politik: Nicht nur lokalen Faktoren, sondern vor allem der EU-Handelspolitik und einer ungenügenden Entwicklungspolitik geschuldet. In den Griff bekommen kann man das allerdings nur, wenn Europa gemeinsam auftritt. Was sollte da ein Staat wie Österreich alleine ausrichten.
Das gilt auch für die Lösung der Flüchtlingsfrage. Als einzige Möglichkeit wird im Moment das Asylverfahren strapaziert. Überstrapaziert. Weil es nie dafür gedacht war. Weil sich Europa zu keiner einheitlichen Migrationspolitik durchringen konnte, wurde das Asylverfahren zum einzigen Ventil für Zuwanderung. Dafür war es allerdings niemals gedacht. Entstanden aus den Erfahrungen mit Krieg und Faschismus sollte es politisch Verfolgten Schutz und Asyl bieten. Aber nicht einmal zu einer einheitlichen europäischen Asylpolitik konnte man sich durchringen. Das Dublin-Regime, wonach der jeweilige Ersteintritt in den Schengen-Raum entscheidend ist, verschob das Problem an die Peripherie Europas. Es scherte niemanden, dass es nicht funktionierte. Hauptsache der vor ökonomischer Kraft strotzende Norden war davon nicht betroffen. Schwierig wurde es erst, als im Sommer 2015 immer mehr Kriegsflüchtlinge über Griechenland nach Europa gelangten. Dieses Land war schon vor der Fluchtbewegung des Sommers 2015 völlig überfordert. Wieso sollte es ausgerechnet diese Belastungen meistern können? Griechenland war kaputtgespart und gedemütigt.
Was wäre gewesen, wenn
Jetzt rächte sich, dass man jahrzehntelang aus purem Eigennutz die Augen verschlossen hatte. Angela Merkel war eine der wenigen, die diese Fehler selbstkritisch eingestanden hat. Wenngleich auch zu einem Zeitpunkt, wo sich das Rad der Geschichte nicht mehr rückgängig machen ließ: Die heraufziehende Flüchtlingskrise sei „zu lange ignoriert“ und die „Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Lösung verdrängt“ worden.
Zu einer gesamteuropäischen Lösung hätte auch gehört, dass man schon frühzeitig hätte beginnen müssen, Flüchtlinge und Vertriebene kontingentweise aufzunehmen und die internationale Gemeinschaft in die Pflicht zu nehmen. So wie das immer wieder passierte. Wie etwa beim Bosnienkrieg. Einen Rechtsrahmen für ein solches Resettlement-Programm wäre auch schon vorhanden gewesen, die sogenannte Massenzustromrichtlinie. Man hätte sie nur reaktivieren müssen. Ich habe bereits im September 2013 – damals waren erst 60.000 Syrien Flüchtlinge im Schengen Raum – darauf hingewiesen, dass die EU eine moralische Verpflichtung hätte angesichts der sich zuspitzenden Situation zu handeln und ein gesamteuropäisches Resettlement – Programm gefordert, um die Aufnahme von Kontingentflüchtlingen zu ermöglichen. Außer ein paar Dutzend „likes” auf Facebook gab es keine Reaktionen, obwohl ich mich intensiv um Resonanz bemühte.
Mir geht es nicht darum, recht gehabt zu haben. Aber mein Beispiel zeigt, dass es Alternativen gab und es einfach nicht stimmt, dass Europa versagt hat. Es waren die Nationalstaaten, die nicht zuließen, dass Europa aktiv wird. Im Übrigen die gleichen, die jetzt beklagen, die EU hätte versagt. Auf jeden Fall wäre uns vieles erspart geblieben. Europa hätte Handlungskompetenz bewiesen und wäre von den Menschen als politischer Faktor wahrgenommen worden und nicht als hilfloser Papiertiger.

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