Götterdämmerung unter Deutschlands Volkswirten
In den vergangenen Tagen hat ein Aufruf deutscher Wirtschaftswissenschafter für großes Aufsehen gesorgt. Auslösendes Moment war der Gipfel der Staats-und Regierungschefs Europas Ende Juni, der neben einem (dürftigen) Wachstumspakt, eine Lockerung des strengen fiskalpolitischen Regimes und den Einstieg in eine europäische Bankenunion vorsah. Dieses Wochenende wurde von den deutschen Medien zur doppelten Niederlage Deutschlands, das auch aus der Fußball EM ausscheiden musste, hoch stilisiert. Italien hatte es den Deutschen gezeigt, im Fußball und in der Politik. Das drückte aufs Gemüt.
Angeregt von Walter Krämer setzte die Gruppe zu einem Frontalangriff gegen die Konzeption der Vergemeinschaftung der Schulden an und stellten den Sinn der Rettung von Banken in Frage. Diese Anstrengungen würden doch nur der Wall Street und der City of London helfen.  Die Bürgerinnen und Bürger wurden aufgefordert,  sich politisch dagegen zur Wehr zu setzen und ihre Abgeordneten zu lobbyieren. Nun kann man durchaus darüber diskutieren, ob man Banken retten soll. Im Zuge der Lehmann Krise vor vier Jahren hatte man sich, die katastrophalen Konsequenzen des Bankenkrachs der späten 20-er Jahre vor Augen dazu entschieden, den Finanzsektor komme, was wolle, vor dem Untergang zu bewahren. Diese Strategie hat nicht funktioniert, mit der Konsequenz, dass es mittlerweile um das Überleben des Euro geht. Jetzt die Pferde zu wechseln, wie das die Gruppe vorschlägt, würde das Dilemma freilich noch verschlimmern und den Zusammenbruch des Euro, mit allen erdenklichen Konsequenzen einleiten. Einigen aus der Gruppe, wie Joachim Starbatty dürfte das durchaus recht sein. Dieser kämpft seit Jahren gegen die Gemeinschaftswährung und ist ein regelmäßiger Beschwerdesteller beim Bundesverfassungsgericht. Wenn man den Appell konsequent durchdenkt, dann ist der Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung die logische Konsequenz. Die meisten der Unterzeichner werden sich dieser Konsequenzen auch bewusst sein.
Es ist durchaus sinnvoll, sich die Gruppe, zu der natürlich auch die Österreicher Bernhard Felderer und Erich Streissler gehören, näher anzusehen. Da fällt zum Beispiel Bernd Raffelhüschen auf. Ein häufiger Gast in den Talk Shows und Propagandist für eine völlige Privatisierung der Versicherungssysteme. Dass dieser, neben seiner Lehrtätigkeit beträchtliche Einkünfte aus seiner Forschungstätigkeit für private Rentenversicherer und Finanzdienstleister bezieht, ist eine wichtige Hintergrundinformation.
Der Initiator des Aufrufes, Walter Krämer, von der Zeit einmal als „Professor Besserwisser“ tituliert ist ein Tausendsassa, Vielschreiber und Rechthaber. Laut Wikipedia kämpft er gegen Anglizismen in der deutschen Sprache, warnt vor links-grünen Miesmachern und Ökochondern und gebraucht gerne Schimpfwörter. Jüngstes Beispiel ein Interview im Standard, wo er lapidar behauptete: „Die Griechen lügen wie gedruckt.“ Vergeblich hat er gegen eine Plagiatsbeschuldigung der taz geklagt. Politisch versteht er sich als rechtsliberal, was wohl auf die Mehrzahl der Unterzeichner zutrifft.
Hans Werner Sinn mimt schon seit über einem Jahrzehnt beständig in den Talk-Shows der deutschen TV Stationen moralinsauer den Retter Deutschlands. Er versteht es, sich die Rhetorik der Stammtische zu nutze zu machen. Er ist einer von jenen Wirtschaftswissenschaftern, die mitverantwortlich dafür sind , dass es heute in Europa diese für die Eurokrise hauptverantwortlichen Ungleichgewichte zwischen Nord und Süd gibt. Jahrelang hatten diese Lohnzurückhaltung propagiert. Sinn bezeichnete damals die deutsche Wirtschaft als „Basarökonomie, die wegen zu hoher Lohnkosten zu keiner nennenswerten Wertschöpfung in der Lage sei“. Er gehörte zum Chor jener, die noch vor wenigen Jahren gebetsmühlenartig die deutsche Wirtschaft krank jammerten.
Sinn, Raffelhüschen und Co sind mitverantwortlich für die gegenwärtige Krise. Ihr neoliberales Weltbild hat den Staat verteufelt, jeden Versuch makroökonomischer Steuerung desavouiert und Deregulierung zum Dogma erklärt. Diesen Ökonomen haben wir es zu verdanken, dass europaweit die Steuern reduziert und den Staaten damit wesentliche Steuerungsmöglichkeiten genommen wurden. Gleichzeitig hat dies die Abhängigkeit von den Finanzmärkten, deren völlige Deregulierung man wie ein Mantra vor sich hertrug, erhöht. Die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme hat schließlich zu einer Vervielfachung der für Spekulationszwecke zur Verfügung stehenden Mittel geführt. Bekanntlich vermehrt sich ja Geld nicht, wenn man es auf der Bank liegen lässt. Die neoliberale Deutung der wirtschaftlichen Zusammenhänge hat zudem nicht nur sinkende Löhne und damit verbunden die volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte unter denen Europa heute leidet verursacht, sondern auch zu einem Rückgang der Binnennachfrage geführt.
All jenen, die Sympathie für den Offenen Brief der Ökonomen empfinden, sollten sich gut überlegen, ob sie sich nicht erneut von einer oberflächlichen  Betrachtung hinters Licht führen lassen. Vielmehr geht es jetzt darum, endlich zu einer makroökonomischen Steuerung im Sinne von Keynes zurückzukehren und die staatliche Verantwortung wieder herzustellen, indem die erforderlichen Mittel durch Steuern auf Bankgewinne und Vermögen aufgebracht werden. Es müssen nachhaltige Wachstumsimpulse gesetzt werden und die innereuropäischen Ungleichgewichte abgebaut werden, vor allem auch durch höhere Lohnabschlüsse, die zu einer Ankurbelung der Nachfrage führen würde. Die Banken müssen zu ihren „basics“ zurückkehren, nämlich die Wirtschaft mit dem erforderlichen Kapital zu versorgen. Dazu bedarf es einer Regulierung des Bankensektors auf europäischer Ebene, die bisher immer wieder verschleppt wurde.
Die Lösung liegt auf keinen Fall in einer Renaissance nationalstaatlicher Lösungen. Es gilt, was Peter Bofinger schon im Februar klar gemacht hat: „Deutschland hat die Wahl, ob es das Schicksal seiner Exportindustrie in die Hände der völlig unberechenbaren Devisenmärkte legen will, oder ob es bereit ist, mit seinen Partnerländern gemeinsam einen politischen Rahmen für eine solide Fiskalpolitik in Europa zu schaffen. Der jüngst beschlossene Fiskalpakt ist dafür ungeeignet. Er würgt die Konjunktur ab, entmachtet die Parlamente und schmälert auf diese Weise auch die staatlichen Handlungsmöglichkeiten.