Ilham Heydar Aliyev, seit 2003 Staatspräsident Aserbaidschans (als direkter Nachfolger seines Vaters) ist ein Vertreter, jenes in der letzten Zeit immer häufiger auftretenden Typus autoritärer Politiker, deren primäres Ziel, die Optimierung privaten Vermögens ist. Putin, Orbán, Erdogan oder Gruevski folgen mehr oder wenig direkt diesem Muster.
Kleptokratie nennt man solche autoritären Systeme, wo es nicht mehr primär um Ideologie, wie bei den autoritären Potentaten des vorigen Jahrhunderts, wie Franco, Pinochet & Co geht. Ideologie ist nur dann wichtig, wenn dies der Machterhaltung dienlich ist. Ebenso geschmeidig, geradezu pragmatisch ist der Umgang mit demokratischen Institutionen und Verfahren. Solange sie nicht hinderlich sind, bedient man sich ihrer. Nicht zuletzt deswegen, um vom wahren Charakter der Herrschaftsausübung abzulenken.
Prestigebauten für sechs Milliarden Dollar
Ein besonderes Faible zeichnet autoritäre Politiker aber samt und sonders aus: die Vorliebe für symbolische Großprojekte. So etwas sichert die Zuneigung der heimischen Bevölkerung und sorgt für internationale Anerkennung. Nichts ist für autoritäre Potentaten wichtiger.
Aliyev hat 2012 ein ganz großes Ding an Land gezogen. Sein Land wird im Juni 2015, also in wenigen Wochen, die ersten „European Olympic Games“ veranstalten. Aserbaidschan war der einzige Bewerber. Bei der geheimen Wahl stimmten mehr als ein Dutzend Länder dagegen. So etwas schert einen Potentaten wenig, weiß er doch, dass er sich fast alles kaufen kann.
Mehr als sechs Milliarden Dollar gibt Aliyev, der auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees ist, für die Prestigebauten aus. Zudem übernimmt er die Anreise- und Aufenthaltskosten der teilnehmenden Sportlerinnen. Das ist wohl auch der Grund, weshalb das Nationale Olympische Komitee schweigsam ist, wenn es auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen im Land angesprochen wird. Es ist das Schwarze Gold, der Ölreichtum Bakus, der jede Kritik verstummen lässt.
Baku
Je näher die Baku-Games kommen, umso rigider tritt das Regime gegen jede Form von Kritik auf. Oppositionelle werden inhaftiert, weil sie den Mund zu weit aufgemacht haben und die Protzsucht des Regimes, Korruption oder miserable Arbeitsbedingungen kritisiert haben. Aliyev will der Welt zeigen, dass ihn alle seine Untertanen lieben und schätzen, weil er ihnen unentwegt Gutes tut. Vor allem will er zeigen, dass Aserbaidschan zu Europa gehört
Ja, Aserbaidschan gehört zu Europa. Es ist Mitglied des Europarates und hat sich dadurch auch verpflichtet, dessen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu befolgen.
Der Menschenrechtskommissar des Europarates Nils Muižnieks ist ständig damit beschäftigt, den systematischen Verletzungen der EMRK nachzugehen. Seine Besuche in Baku bezeichnete er als die schwierigsten seiner Funktionsperiode. Sogar während seiner Präsidentschaft im Europarat habe das Land – ohne sich zu genieren – die Menschenrechte abgebaut.
Europa-Mitgliedschaft darf nicht käuflich sein
Die Liste der Fälle ist lang und das Regime ist ziemlich dreist bei der Begründung für die Verfolgung von politischen Gegnern.
Intigam Aliyev, Emin Huseynov und Anar Mammadli oder Rasul Jafarov sind bekannte Fälle. Sie wurden unter fadenscheinigen Vorwänden in Untersuchungshaft genommen. Ihre „Verbrechen“ bestanden darin, Verletzungen der EMRK aufgezeigt zu haben. Besonders negativ dürften die Behörden Aserbaidschans vermerkt haben, dass sie dies in Gremien des Europarates taten.
Besonders tragisch ist die Situation des Ehepaars Leyla und Arif Yunus. Ihren Fall kenne ich, weil Leyla für den Sacharow Preis des Europäischen Parlaments nominiert war. Seit vielen Jahren kämpfen sie für Presse- und Meinungsfreiheit, gegen Korruption und für die Aussöhnung mit dem Nachbarstaat Armenien.
In diesem Zusammenhang habe ich auch deren im holländischen Exil lebende Tochter Dinara Yunus kennengelernt. Ich mag sie. Hin und wieder stelle ich mir vor, dass auch meine Tochter einmal so für mich kämpfen wird, falls Leute wie ich – was glücklicherweise bei uns (noch) unvorstellbar ist – im Gefängnis landen.
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Wo es geht, unterstütze ich ihren unentwegten Kampf für die Freilassung ihrer Eltern. Sie ist regelmäßig bei uns im Europaparlament zu Gast und sie verdient es, dass wir sie in Zukunft viel lauter und weit mutiger unterstützen. Ihre Mutter schwebt in akuter Lebensgefahr. Sie leidet an Diabetes, Hepatitis C und Nierendysfunktion.
Schweigen ist nicht Gold
Leider haben verschiedene Versuche stiller Diplomatie, an denen auch ich beteiligt war nichts bewirkt. Die aserbaidschanische Seite ist uneinsichtig. Wohl bestärkt im Glauben, dass sie sich alles – auch das Stillschweigen Europas, dem man so gerne angehören möchte – erkaufen kann.
Das dürfen wir nicht hinnehmen. Weil das nur weitere Autokraten auf den Plan rufen wird und weil es nicht sein kann, dass sich ein Land seine europäische Identität durch Brot und Spiele auf dem Rücken wahrhaftiger und mutiger Menschen erkauft.
Menschenrechte sind universell und zumindest in diesem Fall stimmt es nicht, dass Schweigen Gold ist.
Deshalb müssen wir reden, und wenn es sein muss – und das ist momentan ohne Zweifel der Fall – dann müssen wir fordern, diese Spiele zu boykottieren. Auch wenn dies den offiziellen Sponsoren Procter & Gamble, Tissot, Coca-Cola, McDonald’s, Motorola, Nestlé, Red Bull und BP nicht gefallen wird.