Letzte Woche hielt ich mich als Mitglied einer zehnköpfigen Delegation des Europäischen Parlaments in Belgrad auf. Zweck unserer Delegation war es, das Ausmaß der organisierten Kriminalität und die Bemühungen Serbiens, diese in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zu unterbinden, zu studieren.
Zum Zeitpunkt unserer Anwesenheit waren die Verhandlungen um eine neue Regierung, die vom früheren, sozialistischen Innenminister Ivica Dacic geführt werden soll, weitgehend abgeschlossen. Ein wichtiges Element der künftigen, von den meisten Beobachtern als fragil eingeschätzten, Regierung soll die Intensivierung des Kampfes gegen organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäscherei sein. Wir hatten drei Tage lang, unter der Moderation des Chefs der EU-Delegation, Vincent Degert, Gelegenheit, in intensiven, offenen Gesprächen mit ca.40 relevanten serbischen Akteuren die Lage zu erörtern.

„Wende“ unter Djindjic

Serbien ist für die Entwicklung der organisierten Kriminalität deswegen von zentraler Bedeutung, weil das Land Ende infolge seiner Verwicklung in den Balkankrieg zu einem „failed state“ geworden war. Als der später von der organisierten Mafia ermordete Zoran Djindjic, 2001 begann, Serbien wiederum zu einem Rechtsstaat zu entwickeln war das Land außenpolitisch isoliert und Politik und organisiertes Verbrechen nahezu ident.
Seit der demokratischen Wende unter Djindjic hat sich die serbische Regierung bemüht, dem organisierten Verbrechen und der Korruption den Kampf anzusagen. Zunächst mit mäßigem Erfolg. Seit 2010 gibt es eine Sonderstaatsanwaltschaft, umfangreichen Zeugenschutz und die Möglichkeit zur sofortigen Beschlagnahme von Vermögen. Nach Angaben des Chefs der Sonderstaatsanwaltschaft, Miljko Radosavljevic wurden 1541 Personen vor Gericht gestellt. Es erfolgten bislang 735 Verurteilungen. Bereits bei begründetem Tatverdacht kommt es zu Beschlagnahmen. Wir konnten eine Lagerhalle besichtigen, in der Luxusautos im Wert von 2 Millionen Euro ihrer weiteren Verwertung harren. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, werden diese Gegenstände veräußert. Liegenschaften werden ebenso beschlagnahmt, so wurden einem Tycoon unlängst 10 Häuser in Belgrad abgenommen. Diese wurden sozialen Zwecken zugeführt. Wir besuchten beispielsweise einen Kindergarten, der in einer seiner Villen untergebracht wurde. Dieses rigide Programm wurde nach dem Vorbild des italienischen Anti-Mafia Programms entwickelt und wird von der EU Delegation organisatorisch und mit finanzieller Unterstützung begleitet. Auch besuchten wir ein Forensisches Institut – errichtet durch EU-Mittel zur Drogenanalyse und -bekämpfung (siehe Bild oben).
Für Europa hat der Kampf gegen organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäscherei in Serbien und in der angrenzenden Region oberste Priorität. Man weiß genau, dass eine Stabilisierung der Region und auch eine Befriedung der Konfliktzonen im Nordkosovo, aber auch in Bosnien-Herzegowina nur voran kommen wird, wenn die kriminelle Verflechtung von Politik und Wirtschaft in dieser Region beseitigt wird. Vorher wird es auch keinen EU -Beitritt Serbiens geben. Vor allem will man auch die Fehler vermeiden, die man bei der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens gemacht hat. Ohne Zweifel gibt es Fortschritte, vor allem, weil ein klares Bekenntnis der staatlichen Stellen vorliegt. Alle wissen, dass eine europäische Perspektive für Serbien nur dann möglich ist, wenn rechtstaatliche Strukturen entstehen. Allerdings ist der Fortschritt langsam und die Praxis weicht immer wieder von den offiziellen Vorsätzen ab. Korruption ist ein täglicher Begleiter und beginnt eigentlich schon mit der nächstmöglichen Verkehrskontrolle.

„In der Hand von hundert Familien“

JournalistInnen und NGO-VertreterInnen haben uns eindringlich geschildert, dass das organisierte Verbrechen den Staat nach wie vor im Griff hat. Etwa hundert Familien kontrollieren nach Aussage eines Journalisten der Tageszeitung Politika das Land. Deren Vermögen stammt aus den Balkankriegen und dem Waffengeschäft (warlords), dem Drogenhandel (Serbien liegt auf der Haupttransitroute) und dem organisierten Menschenhandel. Eine weitere Quelle des Reichtums ist auch die Privatisierung einstigen Staatsvermögens und das äußerst intransparente öffentliche Beschaffungswesen. Auf all diesen Ebenen gibt es Bemühungen, allerdings gleichen diese mehr denen des Sisyphos. Es geht nicht viel weiter, die Verfahren sind langsam und die Presse deckt meistens zu und nicht auf. Die Medien sind fest in den Händen der Etablierten. Und trotzdem gibt es mutige Menschen, die nicht locker lassen. Kritische JournalistInnen, Blogger und Whistleblower und Menschen wie beispielsweise Miroslav Milicevic, der Vizepräsident des Anti-Corruption Council ist. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund und lässt nicht locker. Sehr beeindruckend sein Resümee: „Ich weigere mich zu glauben, dass unser Kampf hoffnungslos ist. Ich bin mir sicher, eines Tages werden wir nicht mehr notwendig sein.“
So viel Optimismus ist nicht weit verbreitet, die meisten Menschen sind skeptisch. Und sie haben wahrscheinlich auch Recht. Solange nämlich die Armut allgegenwärtig ist, die Einkommen auf dem Niveau Nordafrikas liegen (ca. 300 €) und Ungleichheit das Land lähmt, ist es sehr schwer, diesem Teufelskreis zu entkommen. Ungleiche Gesellschaften, die von Korruption durchsetzt sind, tun sich schwer, ausreichendes Wachstum zustande zu bringen. Positiv zu bewerten ist der stetige Druck, den die EU auf die serbischen Behörden ausübt. Allerdings werden diese Bemühungen durch die Laxheit einzelner Mitgliedsstaaten konterkariert. Auf die Frage, inwieweit illegal erworbene Reichtümer im Ausland gewaschen werden gab mir ein Vertreter des serbischen Finanzministeriums folgendes zur Antwort: „Das geschehe nicht nur via die Karibik, Liechtenstein oder die Schweiz, sondern eben auch in Luxemburg, Zypern und – Österreich.“ Korruption und organisierte Kriminalität lässt sich daher nicht auf den Balkan oder das südliche Italien beschränken. Sie gefährdet in ganz Europa die rechtsstaatlichen Strukturen.
Wollen wir ein Europa des Wohlstands und der Demokratie, dann müssen wir den Kampf gegen die organisierte Kriminalität mit allem Nachdruck führen: immer und überall. Und dann dürfen wir Serbien nicht sich selber überlassen.