Die vergangene Woche stand ganz im Zeichen der Menschenrechte. Das Märzplenum in Straßburg hatte eine dichte Tagesordnung. Unter anderem wurde der jährliche Menschenrechtsbericht debattiert. In einem neuen Format, das nicht mehr aus einer Aneinanderreihung von Fällen bestand. Vielmehr wurde eine systematische Darstellung versucht.
In der Tat muss die europäische Menschenrechtspolitik aufhören, sich als ein Instrument der Außenpolitik zu verstehen. In meinem Redebeitrag meinte ich, dass wir uns dabei nicht nach politischer Opportunität ausrichten dürften:
„Es gibt keine guten und schlechten, keine wichtigen und unwichtigen Menschenrechtsfälle. Menschenrechte müssen als eine Kategorie „sui generis“ betrachtet werden. Sie unentwegt einzumahnen ist eine Investition in unsere Zukunft. Nur eine Welt in der Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit und Demokratie vorherrschen ist eine sichere Welt.“
Bei den Fällen, die uns diesmal beschäftigten, ging es genau darum:
Neben den dringlichen Anfragen zu Menschenrechtsverletzungen, wie der Rekrutierung von Kindersoldaten im sich zuspitzenden südsudanesischen Bürgerkrieg, dem systematischen Landraub in Tansania und der Entführung assyrischer Christen durch die Daesh Terroristen, sprach ich über den Zusammenbruch der staatlichen Strukturen in Libyen und die Kooperation mit den Staaten der Arabischen Liga im Kampf gegen den Terrorismus.
Mir ist es wichtig selbstkritisch zu bleiben. Seien wir ehrlich. Viele der Konflikte, wo die internationale Gemeinschaft heute als Brandlöscher gefragt ist, hat der Westen doch selbst verursacht.
Und vor allem dürfen wir keine „double-standards“ anwenden. Wenn „Verbündete“ wie Saudi-Arabien oder Ägypten sich systematisch über die Menschenrechte hinwegsetzen, dann dürfen wir nicht aus falscher Rücksicht schweigen. Wir müssen diese Fragen ansprechen.
Natürlich darf eine solche Politik nicht oberlehrerhaft sein. Sie muss das richtige Gleichgewicht zwischen stiller Diplomatie und öffentlich vorgetragener Kritik finden.
Menschenrechtspolitik ist ein mühsamer und langwieriger Prozess. Das Gespräch und der Aufbau von Vertrauen sind unsere wichtigsten Waffen.
Die deutsche Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ organisierte eine Reise in den vom syrischen Bürgerkrieg schwer getroffenen Libanon, an der ich gemeinsam mit Barbara Lochbihler und Michel Reimon (beide Mitglied der Grünen im EP) teilnahm. Wir wollten uns ein Bild von der Situation der Flüchtlinge und der Menschenrechte in der Region machen und trafen AktivistInnen aus dem Libanon, Syrien und dem Irak.
Also ging es von Straßburg gleich nach Beirut. Eine Stadt von der ich schon viel gelesen habe, in der ich aber noch nie gewesen bin. Leider sollte ich nicht viel davon mitkriegen, weil unser Programm sehr dicht war und unsere GesprächspartnerInnen unendlich viel zu sagen hatten.
Der Libanon ist die Pforte zum politischen Drama des Mittleren Ostens. Hier sammeln sich die Flüchtlinge und Vertriebenen aus den Krisengebieten in Syrien und im Nordirak und hoffen, dass sie irgendwie nach Europa gelangen. Hier laufen alle Informationen zusammen und hier sind auch jene Menschen anzutreffen, die noch immer Kontakt in ihre Heimat halten. Wie etwa Yara Bada aus Syrien, deren Ehemann Mazen Darwish, Bruno Kreisky- Menschenrechtspreisträger 2013, noch immer inhaftiert ist.
Es ist kaum vorstellbar, welche Last der Libanon zu tragen hat. Auf vier Millionen Einwohner kommen etwa 1.2 Millionen registrierte Syrien-Flüchtlinge. Die Dunkelziffer ist viel höher.
Es ist nachvollziehbar, dass es zu gesellschaftlichen Spannungen kommt. Die Flüchtlinge, allesamt ohne staatliche Unterstützung und daher bereit auf dem Schwarzmarkt Arbeit zu jedem Preis anzunehmen, werden als Lohndrücker wahrgenommen. Obwohl die Statistik Gegenteiliges sagt, werden sie für eine vermeintlich gestiegene Kriminalität verantwortlich gemacht. An allem sollen die Flüchtlinge Schuld haben. So wird mir erzählt, die regelmäßigen, temporären Stromabschaltungen hingen mit dem gesteigerten Stromverbrauch durch die Flüchtlinge zusammen.
Eine solche Stimmungslage ist höchst explosiv. Schon befürchten Beobachter, es könnte, wie schon 1975, als der Zustrom der Flüchtlinge aus Palästina immer größer geworden war, wiederum zu einem Aufleben der alten Konflikte zwischen den unterschiedlichen religiösen Gruppierungen, Christen, Sunniten und Schiiten, kommen. Dieser Bürgerkrieg hat 15 Jahre gedauert, fast 100.000 Tote gefordert und das Land, das man einst die Schweiz des Nahen Ostens nannte, um Jahrzehnte zurückgeworfen.
Unsere Gespräche mit AktivistInnen der Zivilgesellschaft aus Syrien und dem Libanon, die wir in einem Pfarrhaus der assyrischen Kirche, im Hotel und in den Büroräumlichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung der deutschen Grünen führten, waren von dieser Angst überlagert. Alle waren sich irgendwie einig, dass es eine geborgte Zeit war, die wir miteinander verbringen konnten.
Die Gefühlslage war aber nicht nur angstbesetzt, irgendwie war sie auch den ernüchternden Realitäten trotzend, auf beklemmende Weise optimistisch. Junge Menschen, die mit ihren Altersgenossen in Syrien daran arbeiteten, die unterschiedlichen Positionen zu überwinden, um sich vorzubereiten auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg. Auf eine Zeit, wo nicht der Wunsch nach Rache, sondern der Mut zum Gemeinsinn gefragt sein sollte. Oder einen Mann in meinem Alter, der in jungen Jahren Geheimdienstchef der christlichen Milizen war, seine Schuld am Bürgerkrieg einbekannte und jetzt nicht müde wird, zur Versöhnung in der Region aufzurufen. Nach dem Vorbild Südafrikas, nach dem Vorbild der deutsch-französischen Versöhnung.
Trotz der immensen Spannung, der Wut und Trauer, die überall präsent sind haben die Menschen die Hoffnung nicht aufgegeben. Allein schon deswegen dürfen wir nicht wegschauen. Aber auch im eigenen Interesse. Ein destabilisierter Mittlerer Osten wird über kurz oder lang auch Frieden und Wohlstand in Europa gefährden. Noch können wir etwas tun.
Zurück in Brüssel haben wir begonnen, unsere to-do Liste abzuarbeiten. Meine Kollegin Lochbihler und ich konnten im Menschenrechtsauschuss des EP zusammen mit der Repräsentantin des UNHCR im Libanon auf die Situation aufmerksam machen und für mehr Unterstützung werben. Vor allem muss in den Bildungssektor investiert werden.
Die Bereitschaft ist vorhanden und es war erfreulich zu hören, dass die EU- Außenminister am Montag übereingekommen sind, die Mittel für Sofortmaßnahmen in der Region Syrien/ Irak zu erhöhen.
Gerade die tragischen Ereignisse in Tunis verpflichten uns, noch aktiver zu werden.