Eine der am häufigsten verwendeten Buchstabenkombinationen ist www. Letzte Woche wurden wir daran erinnert, welche Auswirkungen die Idee eines am CERN tätigen Wissenschaftlers hatte, den Verkehr im Internet, auf der Basis eines freien Zugangs, ohne finanzielle oder inhaltliche Restriktionen zu managen. Das World Wide Web hat seit der Initiative von Tim Berners-Lee im März 1989 die Welt von Grund auf verändert. Unsere alltäglichen Gewohnheiten sind nicht mehr dieselben. Auch wenn wir es wollten, können wir uns dem schwer entziehen. Schon bald wird dies auch beim besten Willen schwer möglich sein. Das Internet der Dinge (Internet of Everything) ist auf dem Vormarsch und wird in absehbarer Zeit unseren Alltag prägen. Die reale Welt wird mit der virtuellen Welt in einer Weise verbunden sein, die unsere Freiheitsräume als Individuen ganz neu definieren wird. Dieser Prozess ist wie bei jeder historischen Innovation voller Chancen und voller Gefahren. Man kann ihn weder stoppen noch kann man ihn ignorieren. So wie ein ehemaliger Kollege an meiner Fakultät, der mir seinerzeit erklärte, er bräuchte kein Internet an seinem Institut, weil dies ja sowieso nur den Sekretärinnen diente, sich zum Mittagessen zu verabreden. Oft denke ich an diese absurde Intervention meines fachlich damals hoch angesehen Kollegen. Etwa bei politischen Diskussionen. Es wäre nicht sonderlich wichtig, verbindliche Datenschutzregeln festzulegen. „Ich habe ja nichts zu verbergen“. So oder so ähnlich tönt es aus dem Munde der Realitätsverweigerer.
Historische Veränderungen und um eine solche handelt es sich, brauchen den Willen der politisch Verantwortlichen, gestaltend einzugreifen. An dem mangelt es. Zumindest bei jenen, die sich sonst vollmundig zu Beschützern von Freiheit und Menschenrechten erklären. Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben mit dem NSA Skandal einen der dreistesten und folgenschwersten Eingriffe in die Grund-und Freiheitsrechte zu verantworten. Sie zeigen keinen Anflug von Unrechtsbewusstsein und behandeln Edward Snowden wie einen gewöhnlichen Verbrecher. Für Angela Merkel ist die gesamte Materie wie eine heiße Kartoffel, an der sie sich nicht die Finger verbrennen will. Und mit ihrer Aussage „Das Internet ist für uns alle Neuland“ erinnert sie mich frappant an meinen Kollegen aus vergangenen Uni Zeiten.
Letzte Woche war aber nicht nur eine Gelegenheit zum Erinnern, Nachdenken und Lamentieren. Letzte Woche tagte in Straßburg das Europäische Parlament. Im Mittelpunkt der Plenarwoche stand der Umgang mit unseren Daten. Nach einem halben Jahr intensiver Arbeit legte der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres seinen Abschlussbericht über das Ausmaß der Massenüberwachung vor. Als einziges Parlament weltweit haben wir uns damit auseinandergesetzt. Auf der Basis von Aussagen von Whistleblowern, Journalisten, Regierungsbeamten und Forschern. Das Ergebnis ist ernüchternd. Tagtäglich wird (auch) in der westlichen Welt die Privatsphäre der Menschen systematisch verletzt, werden massenhaft Daten illegal und unverhältnismäßig abgezapft, gespeichert und weiter verwertet. Schon lange geht es dabei nicht mehr um die Abwendung von Straftaten oder die Abwehr terroristischer Anschläge. Die Kenntnis unseres Kommunikationsverhaltens führt zu unvorstellbaren Möglichkeiten politischen Missbrauchs. Vor allem hat sie fatale ökonomische Konsequenzen weil sie Geschäftsmodelle erlaubt, die das Potential haben, die Marktwirtschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Der Ausschuss hat nicht nur das Ausmaß dieser besorgniserregenden Vorgänge festgestellt, sondern auch Konsequenzen gefordert. Die wichtigste ist die Forderung nach einer raschen Verabschiedung des Datenschutzpakets. Es sieht einen europäischen Rahmen für den Schutz der Privatsphäre vor und soll globale Standards setzen. Vor allem sollen die Individuen Souveränität über ihre persönlichen Daten zurückgewinnen. Das Recht auf Löschung und das Recht auf persönliche Zustimmung sind die Eckpunkte dieses Vorhabens. Beide Berichte wurden von der Plenarversammlung mit deutlicher Mehrheit angenommen. Und dennoch erlangen sie keine Rechtsgültigkeit. Der Rat, also die Vertretung der Regierungen auf europäischer Ebene hat bisher seine Zustimmung verweigert und weitere Verzögerung signalisiert.
Ein verfehltes Signal, das nur die Europaverdrossenheit beflügelt. Für Angela Merkel war das freilich noch nie ein Argument. Und sie ist hauptverantwortlich für die Blockade. Fragt sich, in welchem Interesse sie das tut. Nicht unbedingt im Interesse der Wirtschaft. Diese beginnt immer mehr zu erkennen, dass ein hohes Datenschutzniveau durchaus von Vorteil sein kann. Letzte Woche gab es aber nicht nur richtungweisende politische Entscheidungen, es fand auch die Cebit, Europas größte IT Messe statt. Das diesjährige Motto „Datability“ bot viel Raum für grundsätzliche Überlegungen. So trat der Präsident von Bitcom, Walter Kempf für „eine „zügige Verabschiedung der EU Datenschutzverordnung“ ein und die deutsche Bank plädierte im Vorfeld für mehr Datenhoheit und verbindliche Regeln beim Umgang mit Big Data. Das alles kommt nicht von ungefähr. Datenschutz ist für viele keine Belastung mehr, sondern potentieller Vorteil. So gab die in Silicon Valley ansässige Softwarefirma Net Suite bekannt, dass sie ihre neuen Datenzentren für internetbasierte Buchführungslösungen nicht in den USA, sondern in Europa errichten werde, weil ihre Kunden Sorge hätten, dass deren Daten auf amerikanischen Servern nicht mehr sicher seien.
Das Motiv hinter dem Sinneswandel der IT-Industrie ist leicht erklärbar. Telekom-Vorstand Reinhard Clemens fordert „Big-Data-Lösungen transparent zu gestalten, um eine Akzeptanz in der breiten Bevölkerung zu finden.“ Natürlich muss man vorsichtig sein, wenn die Industrie „von einer Kultur des Einverständnisses im Internet“ spricht, hat sie doch in ihrer Mehrheit bislang gegenteilig gehandelt. Nur zu gut erinnere ich mich an diverse Beeinflussungsversuche bei der Formulierung des Datenschutzpakets, als man versuchte das Prinzip der expliziten Zustimmung zu verwässern und den Begriff des Datensubjekts so zu formulieren, dass nur mehr wenig übrig geblieben wäre. Natürlich sind die Bedenken der deutschen Datenschützer berechtigt, dass es der Industrie nicht so sehr um den Schutz persönlicher Daten, sondern um die Sicherheit der Datenübertragung und die Verhinderung systematischer Schnüffelei geht. Immer mehr Kundinnen und Kunden erkundigen sich beim Kauf von Geräten danach. Sogar Mark Zuckerberg griff letzte Woche zum Telefonhörer, um Präsident Obama von den gängigen Praktiken abzubringen. Ohne großen Erfolg, wie man den Medien entnehmen konnte.
Wahrscheinlich braucht es noch mehr politischen Druck. Die Beschlüsse des Europäischen Parlaments von letzter Woche könnten für sorgen. Es ist daher unverantwortlich, wenn die europäischen Regierungen, allen voran die Deutschen, eine Beschlussfassung des Datenschutzpakets hinauszögern. Das Zögern und Zaudern muss ein Ende haben. 25 Jahre nach dem Entstehen des World Wide Web sollten wir uns daran erinnern, was seinen Erfolg ausgemacht hat. Nämlich ein demokratisches Medium zu sein, in dem die Nutzerinnen und Nutzer, frei und ohne staatliche Zensur alles weltweit teilen konnten. Diese Offenheit und grundsätzliche Neutralität gilt es zu schützen. Die wachsende Besorgnis der Menschen über die Sicherheit ihrer Daten müssen wir als politischen Handlungsauftrag sehen. Noch nie war die Zukunft des freien Internet so gefährdet und noch nie standen die Chancen so gut, die Dinge zum Positiven weiter zu entwickeln.