Dieses Osterwochenende wird vielleicht einmal in die Geschichtsbücher eingehen.
Es war am Gründonnerstag, als sich die Nachricht verbreitete der Iran hätte sich mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates, der EU und der Bundesrepublik Deutschland geeinigt, den jahrelangen Atomstreit endgültig beizulegen.
Ein Dauerbrenner der internationalen Politik, dessen komplizierte Verästelungen nur mehr ausgesprochenen Spezialisten erschließbar waren, scheint zu erlöschen. Auf dem Verhandlungsweg, und ohne die Anwendung militärischer Gewalt, die über lange Zeit im Raum stand.
Auffallend defensiv die Reaktion der Opponenten, die den Iran unbeirrt auf der Achse des Bösen verorten und zurückhaltend besonnen das Verhalten jener, die sich auf diesen Kompromiss eingelassen. Durchaus einer gewissen Müdigkeit und Erschöpfung geschuldet, aber möglicherweise auch ein Zeichen von Ratlosigkeit und Unsicherheit.
Ob es wirklich im Juni zu einem formellen Abschluss kommen wird, ist nach wie vor offen. Zwar wahrscheinlich, aber keineswegs sicher. Zu viele Stolpersteine liegen herum.
Aber es gibt einen klaren politischen Willen im Verhältnis zum Iran ein neues Kapitel aufzuschlagen. Die Menschen dort spüren das.
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Das war keineswegs immer der Fall. Es ist noch nicht lange her, da schien die Option eines Militärschlages im Bereich des Möglichen.  Vor allem Benjamin Nethanjahu wurde nicht müde, diese einzufordern.
Ich erinnere mich noch genau daran, weil es in meiner ersten Rede als Abgeordneter darum ging, durchzusetzen, dass Europa auf derartige militärische Optionen von vornherein verzichten sollte. Gemeinsam mit den Grünen, den Linken und einigen Abweichlern in der EVP konnten wir das auch im Resolutionstext verankern.
 
Ich habe damals auch die Meinung vertreten, dass Sanktionen kein Allheilmittel wären, vielmehr ginge es darum „sticks and carrots“ einzusetzen.
Diese Position war keineswegs von allen akzeptiert. Und in der Delegation für die Beziehungen mit dem Iran, der ich seit meinem Einzug ins Parlament angehöre, gab es immer wieder heftige Auseinandersetzungen, ob wir überhaupt mit dem Iran reden sollten. Ich habe mich ohne Wenn und Aber dafür ausgesprochen und dabei auf das Beispiel der deutschen Ostpolitik verwiesen. „Wandel durch Annäherung“ hieß das damals unter Willy Brandt.
Immer wieder gab es in unserer Delegation Diskussionen, ob wir einer schon lange ausgesprochenen Einladung des iranischen Parlaments Folge leisten sollten. Eine solche, den Gepflogenheiten entsprechende Reise wurde immer wieder hinausgeschoben und wenn es dann soweit sein sollte, regelmäßig boykottiert. Einmal von der, einmal von der anderen Seite.
Einmal waren wir knapp davor und hatten uns bereits auf den Weg zum Flughafen gemacht. „Trip cancelled“ hieß es lapidar in einer SMS, die mich gerade noch erreichte.
Trotz dieses Rückschlages ließen wir den Gesprächsfaden nicht abreißen. Es gab eine Reihe von vertraulichen Gesprächen, an denen ich maßgeblich beteiligt war. Im Oktober 2013 -also nach der Installierung des neuen Präsidenten Hassan Rouhani- reiste eine Delegation der S&D Fraktion unter Führung von Hannes Swoboda nach Teheran. Das war gleichsam der Eisbrecher. Nach einer Pause von fast sieben Jahren fand dann schließlich im Dezember 2013 der erste offizielle Besuch des Europäischen Parlaments statt.
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Über diesen beeindruckenden Besuch, bei dem wir auch mit den beiden Sacharow- Preisträgern Nasrin Soutodeh und Jaafar Panahi zusammentrafen, meinte ich damals:
„Die Menschen im Iran wollen einen Wandel. Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Kontakt zu halten und die Gesprächsbasis zu erweitern, ist die wichtigste Waffe gegen jene Kräfte, im Inneren und im Ausland, alles daransetzen, dass alles beim Alten bleibt. Diese Kräfte profitieren davon, dass Unruhe herrscht und die Menschen unterdrückt bleiben. Es ist höchste Zeit, dass sich im Iran und in unserem Verhältnis zum Iran etwas ändert. Wir können alle davon nur profitieren.“
Seither war ich einige Male im Iran, hatte häufige Kontakte mit Regierungsvertretern, Oppositionellen und Experten, nicht nur in Teheran, auch in Brüssel und Wien. Ich bin immer mehr zur Überzeugung gekommen, dass eine Entspannung nur von Vorteil sein kann. Dieser Prozess ist nicht einfach. Man braucht einen langen Atem und man muss auch mit Rückschlägen rechnen.
Vor allem muss man diesen Prozess auf gleicher Augenhöhe angehen. Dialogisch und nicht belehrend. Das heißt nicht, kontroverse Themen auszuklammern. Ganz im Gegenteil.
Die iranischen Gesprächspartner schätzen Offenheit und Klarheit, was freilich nicht heißt, dass sie umgekehrt nicht auch für sich das Recht in Anspruch nehmen, bei ihrem Standpunkt zu bleiben.
Beachtet man diese Grundsätze, dann kann man sich möglicherweise auch vorstellen, warum in den letzten Jahrzehnten so vieles falsch gelaufen ist. Historiker werden vielleicht einmal die letzten dreieinhalb Jahrzehnte als die Geschichte der großen Missverständnisse beschreiben.
In der aktuellen Situation sind freilich keine Historiker und keine Ideologen gefragt, schon eher Psychologen oder Diplomaten und Geschäftsleute. Menschen mit dem Blick für Chancen und Möglichkeiten. Vor allem Menschen, die die Zusammenhänge einer globalisierten Ökonomie und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen verstehen wollen.
Wer dazu bereit ist, der wird sich auch aus den Zwängen einer in Jahrzehnten aufgebauten Konfrontationslogik lösen können
und plötzlich die „win-wins“ klar vor Augen haben. Das betrifft alles, was mit Handel, wirtschaftlichen Kooperationen oder Energieversorgung zu tun hat. Die Entwicklung des Tourismus ist ein weiteres Feld von gegenseitigem Interesse, ebenso die Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Bereich.
Es ist bemerkenswert, dass die erste Frau, die die Fields- Medaille, den Mathematik Nobelpreis gleichsam, verliehen bekam, aus dem Iran stammt. Der Iran ist ein Land mit einer jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung. Dies ist für einen überalterten Kontinent wie Europa von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
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In der gegenwärtigen instabilen Situation der Region gibt es auch gemeinsame Sicherheitsinteressen. Einmal im Kampf gegen Daesh/IS. Der Iran hat deutlich gemacht, dass er zu einer gemeinsamen Anstrengung bereit und auch dazu in der Lage ist. Es wäre wichtig, ihn in eine künftige Sicherheitsarchitektur einzubauen. Auch bei der Lösung des Syrienkonflikts könnte/müsste das Land eine tragende Rolle spielen. Einiges ist in dieser Richtung in Fluss gekommen. Schon jetzt kooperieren der Iran und der Westen in manchen Regionen, wie etwa im Irak.
In anderen Bereichen, wie im Jemen läuft das momentan eher auf eine Konfrontation zu. Das gilt es zu verhindern und das ist nur dann möglich, wenn man auf Kooperation und Einbindung setzt. Wieso sollte gerade jetzt ein jahrhundertealter Gegensatz zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen kriegerisch entschieden werden. Alle die darauf setzen, gefährden die Zukunft vor allem unsere Sicherheit. Ein solcher Flächenbrand, der sich recht schnell aus den Glutnestern in Syrien, im Irak und im Jemen entwickeln könnte,  würde zu einer nachhaltigen Bedrohung unserer Zivilisation führen.
Deshalb brauchen wir einen neuen Anfang. Der Iran ist ein wichtiger Baustein dafür. Vielleicht der Wichtigste. Dies ist auch im Interesse der langfristigen Sicherheit Israels. Das klingt vielleicht blauäugig. Sicherlich ist militärische Stärke ein nicht zu unterschätzender Faktor. Aber es braucht eben auch die Bereitschaft der Gegner sich auf einen modus vivendi mit dem Feind einzulassen. Ich habe mir jedenfalls zur Gewohnheit gemacht, bei jedem Gespräch, das ich mit einem iranischen Politiker führe, auf die Notwendigkeit der Anerkennung Israel hinzuweisen.
Der „Response“ ist ermutigend. Natürlich gibt es die Holocaustleugner in Teheran und es gibt auch manche Politiker, wie den früheren Präsidenten Ahmadinejad, die solche Tendenzen fördern, aber im Iran ist kein systematischer Judenhass festzustellen. Es gibt über zwanzig aktive Synagogen und einen gesetzlich garantierten Abgeordneten für die über 30.000 Juden im Land. Man kann einwenden, dass dabei manches möglicherweise Show wäre, aber in vielen arabischen Ländern findet sich nicht einmal Vergleichbares.
Es wäre durchaus sinnvoll, auf diesen Fakten aufzubauen und sie nicht beiseite zu wischen. Genauso wie ich glaube, dass der Iran in der Menschenrechtsdiskussion darauf festzulegen ist, welche internationalen Abkommen er unterzeichnet hat. Von dieser Basis ausgehend, könnte sich ein sinnvoller Dialog entwickeln. Da gibt es sehr viel zu tun. Und der Iran wird sich bald einer differenzierten Kritik stellen müssen. Vor allem erwarten wir, dass die lange Liste der Menschenrechtsfälle angegangen wird. Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn Nasrin Soutodeh und Jaafar Panahi den, ihnen vom Europäischen Parlament verliehenen, Sacharow Preis endlich persönlich in Straßburg in Empfang nehmen könnten.
Nur wer die Menschenrechte respektiert, der kann auf längere Sicht auch zu einem wirklichen Partner werden. Die hohe Zahl der Hinrichtungen ist aus europäischer Sicht nicht hinzunehmen. Und auch die Versicherung, dass es sich dabei zu einem Großteil um Drogenhändler handle, entschuldigt dies nicht. Das Argument iranischer Freunde, auch Saudi Arabien, China, ja sogar die USA würden Hinrichtungen vornehmen, weise ich zurück. Was die Menschenrechte betrifft, darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Das gilt auch für die EU als solche.
Sich für Menschenrechte einzusetzen darf aber nicht heißen, sich in innenpolitische Vorgänge einzumischen. Oft erfordert dieses Postulat eine Gratwanderung, aber wohin sich das Land entwickeln soll, das ist einzig und allein Sache des Iran. Von außen können und dürfen wir keinen Regimewechsel verlangen. So etwas muss von innen kommen. Entscheidend ist, dass sich der Iran an völkerrechtliche Verträge hält und Möglichkeiten der Mitgestaltung und Mitentscheidung auf demokratischer Grundlage vorsieht.
Was mich am meisten überrascht hat, seit ich mich intensiver mit dem Iran beschäftige, ist das relativ hohe Ausmaß an Differenziertheit und Unterschiedlichkeit innerhalb eines freilich sehr engen, von der religiösen Führung vorgegeben Korsetts.
Der Iran ist keine Demokratie, aber es gibt so etwas wie Gewaltenteilung, einen gewissen Pluralismus und eine Regelhaftigkeit des politischen Prozesses. Es ist nicht von vornherein vorhersehbar, wer bei Wahlen als Sieger hervorgeht. Das haben die letzten Präsidentenwahlen gezeigt.
Auch wenn immer wieder von Manipulationen die Rede war, so fehlte es auf jeden Fall nicht am Überraschungsmoment, das eines der wesentlichen Elemente der Demokratie darstellt.
Es gibt Institutionen, die über eine gewisse Legitimität verfügen. Die Regierung muss sich bemühen, den Atom-Deal durch das Parlament zu bringen. Das ist keineswegs eine ausgemachte Sache. Die Hardliner, die im Majls, dem iranischen Parlament eine breite Mehrheit haben, werden wohl am Ende nur deswegen zustimmen, weil sie um ihre Wiederwahl fürchten.
Die Menschen im Iran wollen einen Wandel. Sie wollen nicht, dass es so weiter geht wie bisher. Und sie wissen, dass sie es vorsichtig angehen müssen. Der Schock der gescheiterten grünen Revolution  von 2009 sitzt vielen noch im Nacken. Die nächsten Parlamentswahlen im Februar 2016 werden Schicksalswahlen. Viel hängt davon ab, wie transparent und offen sie stattfinden. Wenn dies garantiert ist, dann könnten sie einen weitreichenden Wandel einleiten. Dann könnte der Iran zu einem Modellfall für die islamische Welt werden.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in der Region, wo es immer mehr „failed states“, oder „stateless actors“, wie den IS , gibt, existiert hier eine Staatlichkeit.
Der Iran ist ein islamisches Land, eine islamische Republik und das sollten wir akzeptieren. Er ist aber auch ein Land mit Potential, das wir im gemeinsamen Interesse nutzen sollten. Es ist nicht gut, einen potentiell bedeutsamen Partner allein zu lassen und ihm die Wertschätzung zu verweigern.
Europa verbindet mit dem Iran eine lange Geschichte der  Wertschätzung, des Austausches und der Kooperation.
Als der Aufklärer Montesquieu das absolutistische Regime Frankreichs kritisieren wollte, da lief er angesichts der vorherrschenden Zensur Gefahr, verfolgt zu werden. Also ließ er 1721 zwei Perser durch Frankreich reisen, die sich über die Rückständigkeit und Kulturlosigkeit der Franzosen lustig machten. Auch wir Deutschsprachigen haben mit Goethes „West-östlichem Divan“ ein Zeugnis für die wechselseitige, von Neugierde getriebene Wertschätzung beider Kulturen. Hier heißt es:
„Wer sich selbst und andere kennt, Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“
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(Foto: Amir Pourmand/AFP/Getty Images)

 Es würde durchaus Sinn machen, an diese historischen Bezüge anzuknüpfen. Im Westen sind sie vergessen, überschattet von den Verstörungen der letzten Jahrzehnte. Im Iran sind sie allerdings überall präsent. Das zeigte sich vor wenigen Wochen, als das wiedergegründete Teheraner Symphonie Orchester Beethovens Neunte aufführte, die Ode an die Freude im deutschen Original.
Das Konzert hatte noch nicht begonnen, da gab es schon Standing Ovations des iranischen Publikums. Diese galten nicht nur dem Orchester, sondern auch der Symbolik dieses Events.