Selten bin ich unter einer solchen Anspannung gestanden, wie in diesen ersten Wochen dieses Jahres. Alles ist in Bewegung geraten. Europas Bewährungsprobe steht bevor. Und ich bin froh, dass ich mich da einbringen kann. Ich weiß nicht, ob das je von Erfolg gekrönt sein wird, aber ich will es zumindest versucht haben. Meine Themen sind vielfältig und divergent, aus der Sicht Europas existenzielle Fragen: Flüchtlingskrise, Türkei, IS-Terrorismus, Kurdenfrage, Polen, Menschenrechte und Digitalisierung. Trotz dieser Anspannung will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen, was ich da vorvoriges Wochenende im Linzer Design Center erlebt hatte. Einen Parteitag meiner SPOÖ, der im Zeichen eines Neustarts stehen sollte und der beinahe ihr Ende bedeutet hätte.
Freitag, kurz vor Mitternacht hatte der zur Wiederwahl angetretene Parteivorsitzende Reinhold Entholzer erklärt nicht mehr zur Verfügung zu stehen und vorgeschlagen Johann Kalliauer zu seinem interimistischen Nachfolger zu bestimmen. Von niemandem erwartet, aber offensichtlich die einzige Möglichkeit Schlimmeres zu verhindern. Gegensätze, die schon lange die Landespartei paralysiert hatten, waren am Vortag des Parteitags aufgebrochen und erwiesen sich als unüberwindlich. Wilde Spekulationen wer, wann und warum, der bis dahin mühsam aufrechterhaltene Grundkonsens gesprengt war, machen seitdem die Runde. Es tut weh, so etwas mitzuerleben. Und es tut gut zu sehen, dass es den Delegierten beim Parteitag gelungen ist, nicht noch mehr Porzellan zu zerschlagen. So viel Selbstdisziplin habe ich selten erlebt. Es hätte viel schlimmer kommen können. Wir hätten uns ja auch zerfleischen können. Tröstlich vielleicht, aber auch nicht wirklich hilfreich.
Was ist mit OÖ los?
Zur Tagesordnung können wir keineswegs übergehen. Selbstdisziplin und die in diesen Tagen viel beschworene Geschlossenheit sind keineswegs Garanten dafür, dass das Comeback klappt. Es muss sich vieles ändern, will die SPOÖ wieder zur gestaltenden Kraft werden. Und die SPOÖ muss das wieder werden. Schnell. Weil Gefahr in Verzug ist. Oberösterreich, das Industriebundesland Nr. 1, Wachstumsmotor und Zukunftslabor der Republik wird gegenwärtig von einem schwarz-blauen Männerbund auf provinzielles Niveau zurückgestutzt und intellektuell ausgedünnt. Auf so einem Niveau kann keine Zukunft gedeihen. Wenn sogar schon der Schulhof zur politischen Kampfzone erklärt wird, wo soll da Weltoffenheit gedeihen. Die Exportregion Oberösterreich braucht ein Klima der Offenheit und der Toleranz, braucht weltoffene Menschen. Kleingeistigkeit und provinzielle Engstirnigkeit schnüren einer vom Export abhängigen Region die Luft ab und schädigen deren Zukunft. Es wird nicht einfach werden.
Den Industriestandort OÖ. zukunftsfest zu machen, ist die größte Herausforderung, weil das die Lebensgrundlage der Menschen sichert. Hier hat Schwarz-Blau nichts anzubieten. Partikularinteressen dominieren und oft fehlt es am intellektuellen Tiefgang und der sich daraus ergebenden Weitsicht. Oberflächlichkeit hat sich breitgemacht und alles, was an den Schutz von Arbeitnehmerrechten erinnert, wird verächtlich beiseitegeschoben. Die Sozialdemokratie wird als Verhinderertruppe dargestellt. Auch wenn es nicht stimmt.
Die SPOÖ hat in der Vergangenheit viel zur Attraktivität des Standortes beigetragen. Hat gegen die Skepsis der Konservativen mit großem finanziellem Aufwand die Sanierung der Verstaatlichten betrieben, gegen den anfänglichen Widerstand der ÖVP die Gründung der Standort- und Innovationsagentur des Landes TMG (jetzt ”Business Upper Austria”) durchgesetzt und durch eine umsichtige Politik die Sanierung des Standorts Steyr möglich gemacht. Und sie war auch ganz vorne mit dabei, dass aus einem dynamischen Industriestandort ein europaweit beachteter kultureller Hotspot wurde. An diese Tradition muss eine erneuerte Sozialdemokratie anknüpfen. Freilich mit neuen Methoden und neuen Modellen, ohne Denkverbote. Standortpolitik heißt vor allem, bestmögliche Lebensgrundlagen zu schaffen.
Back to Basics
Die nächsten Jahre werden uns vor riesige Herausforderungen stellen. Gerade für Industrieregionen wird es schwierig werden. Die zunehmende Robotisierung wird alles verändern. Sie wird viele Arbeitsplätze kosten, Abläufe und Lebensstile disruptiv verändern. Sicherheiten werden verloren gehen und Ängste allgegenwärtig sein. In einer solchen Situation suchen die Menschen Orientierung und Handlungsanleitungen. Dafür wäre eigentlich die Sozialdemokratie da, würde sie sich nur auf ihre Kernkompetenz besinnen. Das gesellschaftliche Ganze im Auge zu haben und für alle Menschen Perspektiven zu entwickeln. Nicht nur für die Besitzenden. Gerade in Zeiten epochaler Veränderungen braucht es soziale Absicherung in öffentlicher Verantwortung. Auch wenn die neuen Bedingungen die Sozialsysteme vor große Herausforderungen stellen, sie jetzt abzubauen wäre töricht und vor allem unmenschlich. Das würde den Weg in die Barbarei öffnen. Die Menschen erwarten mit Recht, nicht als Modernisierungsopfer zurückgelassen zu werden. Sie brauchen ein Sicherheitsnetz, auf das sie sich verlassen können.
Das ist die historische Aufgabe der Sozialdemokratie. Versagt sie in dieser Hinsicht, dann öffnet sie die Schleusen für die populistischen Zerstörer. Das erleben wir ja mittlerweile tagtäglich. Natürlich lassen sich diese Probleme nicht auf regionaler Ebene lösen. Aber es bedarf gerade des Anstoßes aus den Industrieregionen, damit sich auf nationaler und europäischer Ebene etwas bewegt. Viele Jahre hindurch war gerade die SPOÖ solch ein überregionaler Motor für Veränderungen. Auch wenn sie nicht die Macht hatte, Deutungshoheit hatte sie allemal. Diese wiederzuerlangen muss oberste Priorität haben. Dazu braucht es die Bereitschaft zu kritischer Auseinandersetzung. Allzu häufig hat sie aber in den letzten Jahren einfach nur den Kopf in den Sand gesteckt oder ist Problemen ausgewichen. Nur ja nicht Stellung beziehen, nur ja keine Ecken und Kanten zeigen. Und schuld waren meist die anderen. Und oft hat sie abgehoben und belehrend agiert.                                         
Macht die Fenster auf
Das hängt unmittelbar mit ihrer starren Organisationsstruktur zusammen. Der damit verbundenen (Un)Kultur, personelle Weichenstellungen oder politische Richtungsentscheidungen top-down vorzunehmen. In Zeiten des Umbruchs kann man aber nur bestehen, wenn man offen und aufnahmebereit für Neues ist. Die Organisationsstruktur der Sozialdemokratie stammt aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Das Telefon war gerade erfunden, und wenn ein Auto durch ein Dorf fuhr, dann liefen die Leute zusammen. Ein Jahrhundert später kommunizieren die Menschen völlig anders, sind in Bewegung geraten und sind es gewohnt, individuelle Entscheidungen zu treffen. An den Strukturen ist das spurlos vorübergegangen. Seit Langem passiert das wirkliche Leben außerhalb der Parteistruktur. Man braucht sie lediglich, um bestimmte Machtpositionen zu erlangen oder abzusichern. Für die reale politische Auseinandersetzung ist sie meist hinderlich, weil sie unnötigerweise Kräfte bindet. Permanent mit sich selbst beschäftigt zu sein ist die beste Voraussetzung für Bedeutungslosigkeit.
Wenn man Politik nur durch den Filter der Partei wahrnimmt, dann läuft man Gefahr, den Anspruch der Gestaltungsfähigkeit zu verlieren. Politik reduziert sich dann auf die Fähigkeit, Koalitionen bilden zu können. Das Schielen auf Umfragen ersetzt den Diskurs mit den Mitgliedern und potenziellen WählerInnen. Politische Positionen müssen im Diskurs entstehen. Dazu brauchte es eine lebendige Diskussionskultur. Vertrauen, Respekt, Neugierde und auch ein gehöriges Quantum Demut. Vor allem aber Mut. Sich auf Diskussionen, auch auf kontroverse einzulassen, ist ein Zeichen von Stärke, weil Identifikation und Motivation gefördert werden. Dadurch entsteht auch eine neue, andere Form von Geschlossenheit. Freiwillig und nicht von oben erzwungen. Alle erfolgreichen sozialen Bewegungen funktionier(t)en nach diesem Muster. Im Gegensatz zur Gründungszeit der Sozialdemokratie gibt es dank der Digitalisierung heute ungeahnte Möglichkeiten, Beteiligung und Meinungsaustausch zu organisieren. Politisch zu führen, heißt in der Mitte dieses Prozesses zu stehen. Führen und nicht Hinterherlaufen.
Ein neuer Bezugsrahmen
Politik ist nur dann erfolgreich, wenn sie für die realen Probleme der Menschen – mögen sie noch so banal sein – Erklärungen und Lösungen anzubieten hat. Die Gemeinden und die Regionen (Bezirke) sind jene Ebenen, wo politisches Engagement ansetzen muss. Es sind diese scheinbar banalen Fragen, die Menschen dazu führen, sich in den politischen Prozess einzubringen. Nur Kurzsichtige und Verblendete sehen das nicht. Natürlich erwarten die Menschen von einer politischen Partei auch Antworten auf die globalen Probleme. Vor allem dann, wenn sie, wie bei der Flüchtlingskrise unmittelbar ihren Alltag betreffen. Aber es sind nur jene glaubwürdig, die in der Lage sind, auch die Probleme des Alltags zu lösen. Diese Fähigkeit war für Jahrzehnte die Basis für die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie. Will die SPOÖ wieder zur gestaltenden Kraft werden, dann muss sie sich auf die Arbeit in den Kommunen konzentrieren und den überschießenden Eifer der Landesbürokratie eindämmen. Der österreichische Föderalismus, der die Länder zum sinnstiftenden Fundament der Republik stilisiert hat, ist ein gewaltiges Hemmnis jeder vernünftigen Entwicklung. Er verengt den Blick und hat den lähmenden Stillstand unserer Republik mitbewirkt. Die gegenwärtigen Herausforderungen sind zu groß, als dass man sie einem „Landeshauptmann“ überlassen darf. Provinzielle Verengung, wie wir sie unentwegt erleben, zerstört unsere Zukunftschancen. Die oberösterreichische Sozialdemokratie muss zum Vorreiter eines neuen Regionalismus werden. Sein Bezugspunkt ist die lokale Ebene, aber sein Bezugsrahmen reicht weit über die historischen Landesgrenzen hinaus. Er ist national, grenzüberschreitend und europäisch. Es ist an der Zeit, den sich selbstermächtigenden Föderalismus zu entmachten.
Für eine Koalition der „Schwer Lenkbaren
Das können nur Menschen tun, die „schwer lenkbar“ sind. Und davon es gibt es in Oberösterreich, der Heimat eines Stefan Fadinger und eines Richard Bernaschek viele. Gerade auch außerhalb des mit vielen Fördermitteln eingefriedeten Politgeheges. Die Menschen in Oberösterreich sind überdurchschnittlich an Politik interessiert. Zumindest habe ich diese persönliche Erfahrung gemacht. Viele von ihnen sind frustriert und marginalisiert. Sie gilt es zu gewinnen. Nicht um sie zu vereinnahmen. Nein, sie sollen zu Trägern der Erneuerung werden. Wir brauchen eine Koalition von aufrechten und unabhängigen Menschen, die positiv denken, die Zukunft, möge sie noch so bedrohlich erscheinen, als Chance begreifen und die niemand ausgrenzen wollen. Niemand soll ausgeschlossen sein. Wir brauchen viel mehr Frauen und junge Menschen in der Politik. Es darf keine Rolle spielen, ob jemand geistig oder manuell arbeitet, schon über Generationen in Oberösterreich beheimatet oder zugewandert ist. Und es ist gut, dass nicht alle Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher, wie das für mich zweifelsohne zutrifft, den Genuss von Schweinsbraten und Most zelebrieren. Die Vielfalt, ob im Religiösen oder im Lebensstil macht die Kraft einer Region aus. Einigkeit ist dort notwendig, wo es um die Grund- und Menschenrechte geht. Sie gelten für uns alle. Diese gemeinsamen Werte halten eine Gesellschaft zusammen und geben dem politischen Engagement erst einen Sinn. Wenn das Bekenntnis dazu fehlt, dann verkommt der politische Betrieb zu einem Selbstbedienungsladen.
Die Zukunft ist zu wichtig, als dass sie von der Optimierung von Einzelinteressen bestimmt werden darf. Die SPOÖ wird nur dann wieder aus dem Tal der Tränen herausfinden, wenn sie versucht, zum Katalysator einer Erneuerungsbewegung zu werden. Also sich nicht krampfhaft Koalitionspartnern andient, sondern die Koalition mit den Bürgerinnen und Bürgern sucht. Die Sehnsucht nach einer linken Alternative ist groß. Das sehen wir in diesen Tagen an den Erfolgen des demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders und des britischen Labour-Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn. Ihnen gelingt es, durch konsequentes Ansprechen realer Probleme vor allem junge Menschen zum Mitmachen zu bewegen und die politischen Themen vorzugeben. Oberösterreich ist der Trendsetter für Österreich. Das war seit 1945 so. Wer hier gewinnt, gewinnt in ganz Österreich. Was sich hier durchsetzt, das hat Chancen in der gesamten Republik. Und was hier verloren geht, das geht auch woanders verloren. Das ist der Grund, warum mir in den letzten Wochen die Vorgänge in meiner oberösterreichischen Sozialdemokratie oft den Schlaf rauben.

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