Große Veränderungen kommen auf leisen Sohlen. Wenn man sich bei Menschen umhört, die mit Politik wenig am Hut haben, dann begegnet einem eine eigenartige Ignoranz, sobald die Rede auf den 4. Dezember kommt. Was soll da schon passieren? Ein ganz unwichtiges Amt hört man allerorten. Schließlich seien wir jetzt auch ein halbes Jahr ohne einen Bundespräsidenten ausgekommen. Und was kann er schon bewirken? Reden halten, unterschreiben, hin und wieder ein bisschen mahnen. So war es die letzten 70 Jahre. So wird es aber künftig nicht mehr sein. Der Grundkonsens der Zweiten Republik ist zerbrochen. Das Land ist gespalten und ein diffuser Wunsch nach Veränderung liegt in der Luft. In einer derartigen Konstellation könnte ein Bundespräsident zum Angelpunkt des Umbruchs werden. Das hängt damit zusammen, dass das Amt des österreichischen Bundespräsidenten 1929 – zu einem Zeitpunkt wo ganz Europa in Richtung Führerstaat abdriftete – neu konzipiert worden war. Die Weimarer Reichsverfassung diente als Vorbild. Nach 1945 gab es glücklicherweise ein anderes Amtsverständnis: Kein Führer-Präsident sondern ein gutmütiger Ersatzmonarch, der hin und wieder grantig seine durfte. Die ihm zustehenden Befugnisse hätten mehr erlaubt, allerdings erstickten alle dahin gehenden Versuche an einer, demokratischen Erneuerung, erdrückenden Harmoniesucht.
Die Zeiten haben sich freilich geändert. Konfrontation ist plötzlich chic. Die allgegenwärtige Angst verwandelt sich in Hass. Was lange lähmte, treibt nun an. Die neuen Helden sind die Vereinfacher. Es genügt, wenn sie lautstark vorgeben Lösungen zu kennen. Kompromiss, Differenziertheit und Lösungskompetenz werden als Schwäche ausgelegt. Wieso sollte ein künftiger Bundespräsident nicht versuchen, das Amt im Sinn einer autoritären Reduktion der komplexen, für große Teile der Bevölkerung schwer ertragbaren Realität anzulegen. Kraft seiner Befugnisse könnte er zu einer Art Super-Schiedsrichter werden, der über den Parteien stehend, diese vor sich hertreibt und der Politik seine Agenda vorgibt. Von Van der Bellen ist zu erwarten, dass er dem bisherigen Rollenverständnis eines Bundespräsidenten entspricht. Er ist sich der Notwendigkeit einer Erneuerung bewusst, aber er weiß auch um seine Befugnisse. Der Bundespräsident hat vor allem eine begleitende Rolle: anregend, wenn nötig einmahnend, immer vermittelnd. Und er muss die Koordinaten Österreichs kennen: Westorientierung und Verankerung in der europäischen Wertegemeinschaft, Achtung der Menschenrechte und Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit. Diese Fixpunkte zu ändern ist dem vom Volk gewählten Parlament vorbehalten. In besonderen Fällen, wie zuletzt beim Beitritt zur EU auch einer plebiszitären Entscheidung.
Die Quadratur der Prinzipienlosigkeit
Hofer verspricht einen radikalen Wechsel. Geschickt spricht er die Angst-und Ohnmachtsgefühle der Menschen an. „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“ ist der wohl meist zitierte Sager in diesem nicht enden wollenden Wahlkampf. Er klingt wie ein Menetekel und er erlaubt breiten Raum für Interpretation. Wie so vieles an diesem Kandidaten. Einmal so, dann wieder anders, schließlich doch nicht so. Irgendwie alles in der Schwebe und wieder doch nicht. Mitunter hat man den Eindruck, als ginge es darum permanent abzutesten, was möglich ist. Alleiniges Ziel ist die Optimierung von Wählerstimmen. Um jeden Preis. Deshalb greift die holzschnittartige Rhetorik so mancher zu recht besorgter Antifaschisten nicht weit genug. Hofer & Co. geht es nicht einfach darum, das Rad der Geschichte auf die Zeit vor 1945 zurückzudrehen. So sehr das vielleicht viele seiner Fans möchten. Das Bekenntnis zur deutschen Kulturnation ist ja fixer Bestandteil der burschenschaftlichen Milieus. Dazu zählt auch die Ablehnung einer österreichischen Nation oder der habsburgischen, multinationalen Vergangenheit.
Bemerkenswert ist, wie bereitwillig die Rechtsdemagogen nachhaltig gepflegte Feindbilder und Prinzipien über Bord werfen. Willfährig lässt man sich als Erfüllungsgehilfe geopolitischer Interessen instrumentalisieren. Die Schwächung der EU mag im Interesse des Kremls sein, den kleinen Leuten in Österreich, denen man permanent nach dem Mund redet, hilft das freilich nicht. Der kleine Mann dient der Stimmenmaximierung. Viel lieber lässt sich man sich in diversen Propagandamedien wie Sputnik-News abfeiern. Nachdem ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung einen Öxit ablehnt, probiert man es jetzt durch die Hintertüre. Das Projekt einer Allianz mit den Visegrád-Staaten, von den russischen Freunden auch Ost-Benelux genannt, dient in erster Linie der Desintegration Europas. Stärkung der Zentrifugalkräfte, darum geht es. Dafür ist man gerne bereit beim Gespräch mit Miloš Zeman, das Thema Temelín nicht anzuschneiden. Oder Václav Klaus nicht mit den Benesch Dekreten zu behelligen. Jahrzehntelang hatte man sich einer Annäherung an den tschechischen Nachbarn mit dem Hinweis entzogen, dass diese Frage nach wie vor offen sei. Und die Osterweiterung hatte man sowieso massiv bekämpft. Solange zumindest, bis klar wurde, dass sie nicht automatisch in einer Stärkung der EU münden müsse. Orbán wurde erst dann zum Freund, als er begann sich von Brüssel abzusetzen, um schließlich in der Flüchtlingsfrage gänzlich aus der europäischen Solidarität auszuscheren.
Wenn man Europa zerstören will, muss man die EU kaputt machen
Solche Töne, noch dazu aus der unmittelbaren geographischen Nachbarschaft, sind Musik für die Ohren der Rechtsdemagogen auf europäischer Ebene, wo die FPÖ eine wichtige Rolle spielt. Gegenwärtig sind sie auch nicht prinzipiell gegen Europa unterwegs. Die Beschwichtigungsformel „Europa der Vaterländer“ geht ihnen leicht von den Lippen. Sie bekämpfen die Idee einer Europäischen Union, eines supranationalen Souveräns. Nie konnten sie sich mit dem Faktum eines durch Einsicht und Vernunft begründeten europäischen Einigungswerks, das auf den Fundamenten von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten beruht, abfinden. Verständlich, ist das europäische Einigungswerk doch die Antithese zum nationalistischen Zerstörungswahn, der Europa bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts permanent heimgesucht hatte. Geschickt nutzten die Rechtsdemagogen die reichlich vorhandenen Probleme auf europäischer Ebene, um sie in ihren nationalistischen Erklärungszusammenhang zu verweben. Sie nahmen zwar Positionen in den europäischen Gremien ein, ließen sich dafür bezahlen, lehnten aber alles ab, was Europa besser und effektiver gemacht hätte: Nein zu einem gemeinsamen Sitz des Parlaments, um dann die Verschwendung von Mitteln anzuprangern. Immer wieder nein zu einer gemeinsamen europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik, um dann zu beklagen, dass die EU nichts zustande bringt. Sie hassen diese EU. Immer und überall. Wenn die europäische Hymne im Parlament intoniert wird, dann bleiben sie ostentativ sitzen. Auf ihren Sitzen im Europaparlament pflanzen sie die Flaggen ihrer Nationalstaaten auf, so als ob sie Feindesland erobert hätten. Die Liste lässt sich fortsetzen. Das Credo ist immer das gleiche: Die EU darf nicht funktionieren. Jahrelang ist man auf dieser Welle der Ablehnung und Übertreibung gesurft. Mit Erfolg.
Alle, denen Europa ein Dorn im Auge ist, haben sich miteinander verbündetet. Ihre Gemeinsamkeit ist die Aversion. Sonst nichts. Keine Substanz. Ihre Freunde außerhalb Europas könnten gar nicht unterschiedlicher sein: Putin und Trump trennen trotz aller Gemeinsamkeit Welten. Dieses Bündnis wird so lange halten, bis die EU zerstört ist. Dann werden sie übereinander herfallen. Wie so oft in der Geschichte. Gerade in Österreich sollten wir wissen, dass wir als kleines Land nur dann überleben können, wenn wir unsere Souveränität im Einklang mit anderen Staaten gestalten. Die Erste Republik ist mahnendes Beispiel dafür, wohin Bündnislosigkeit führen kann. Österreich konnte nur deswegen zu seiner heutigen Bedeutung finden, weil es sich nach 1945 dem Westen verpflichtet fühlte. In seiner Außenpolitik zwar strikt neutral wurde es zum integralen Bestandteil eines auf Werten und Prinzipien beruhenden Bündnisses. Unser Erfolg resultierte daraus, dass wir es vermochten, uns als Schaufenster des Westens zu dekorieren.
Mit dem Beitritt der östlichen Nachbarn wurden wir in die Mitte des Kontinents katapultiert. Und wir konnten eine gewaltige Dividende kassieren. Freilich waren wir nicht bereit und nicht in der Lage, die Chancen dieser historischen Konstellation zu nutzen. Es waren vor allem die Rechtsdemagogen, die dagegen mobilmachten. Eine Zusammenarbeit hätte ja den Integrationsprozess stärken können. Sie wurden nicht müde gegen die Osterweiterung zu wettern. Jetzt aber, wo im Osten der Wind der illiberalen Demokratie bläst, Orbán und Co. – unter dem Beifall von Putins Russland – sich immer unverfrorener über die Kopenhagen-Kriterien, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft hinwegsetzen, beginnen die Rechtsdemagogen sehnsüchtig nach Osten zu blicken. Sie beschwören eine gemeinsame Geschichte, die sie immer abgelehnt haben, und negieren unterschiedliche ökonomische und rechtsstaatliche Standards, auf die sie immer aufmerksam gemacht haben. Hofer hat in der zweiten Runde der Wahlauseinandersetzung immer wieder betont, wie wichtig ihm eine Öffnung nach Osten und ein Beitritt zur Visegrád-Gruppe sind. Er spielt mit dem Feuer und nimmt eine Schwächung der für Österreich so wichtigen europäischen Integration in Kauf. Dieser Flirt mit dem Osten macht ihn zum Spielball geopolitischer Interessen und treibt ihn in die Arme von immer wichtiger werdenden Akteuren, wie Alexander Dugin, dem es um eine von Moskau angeführte „Eurasische Union“ als Gegenmodell zum „westlichen Nihilismus“ der globalisierten Eliten geht.
Die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten ist eine Richtungsentscheidung. Es geht um die Frage, ob wir uns auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang einlassen wollen. Das Amt des österreichischen Bundespräsidenten könnte wie ein Brandbeschleuniger wirken.

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