Österreich ist wieder in den internationalen Medien. Wie zuletzt vor einem Jahr, als Alexander van der Bellen zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Damals wurde das als Trendwende gefeiert. So wie jetzt auch wieder. Der Ton ist besorgter. Aber was passiert wirklich? Erleben wir gerade eine Zeitenwende? Müssen wir alles hinnehmen, was auf uns in den nächsten Jahren zukommen wird? Ratlosigkeit und Apathie machen sich breit.

Far Right on the Rise… Wäre es doch so einfach

Ohne Zweifel, auf den ersten Blick ist das Ergebnis der Oktoberwahl eindeutig. Schwarz und Blau haben eine klare Mehrheit und deren programmatische Aussagen im Lauf des Wahlkampfes waren unmissverständlich. Ganz so hoch sind die Bäume freilich nicht in den Himmel gewachsen, wie von vielen erhofft und von der geballten Medienmacht herbei geschrieben. Im Vergleich zur Nationalratswahl 2013 hat der rechte Block (VP und FP) gerade einmal um 2,71% zugenommen. Team Stronach und BZÖ standen bekanntlich diesmal nicht mehr zur Auswahl. Zudem sind auch Zweifel angebracht, dass alle Stimmen für die VP einen Rechtsruck bedeuten. Es gab keine offensive Bewegung in der ÖVP in diese Richtung. Eher staunendes Erwarten und klammheimliche Sympathie mit dem jung-frechen und feschen Wunderwuzzi. „Feschismus“ eben, ohne Tiefgang. Das Spiel mit dem Feuer bedeutet ja noch keinen Brand, es ist bloß brandgefährlich. Aber viele sind magisch davon angezogen. Unter den Kurz-Stimmen sind nicht nur solche, eigentlich antipolitisch motivierte Menschen, sondern auch viele christlich-soziale Gewohnheitswähler mit schlechtem Gewissen. Sonst ließe sich auch nicht erklären, warum einer Market-Umfrage in dieser Woche zufolge nur 35% eine VP-FP Koalition befürworten.
Kern und die Kernthemen 
Ja, es gab keinen Rechtsruck bei dieser Wahl, zumindest keinen plötzlichen. Österreich ist schon seit langem rechts. Überraschend war etwas anderes. Das eine hängt mit dem anderen zusammen, erklärt freilich nicht alles. Der Absturz der Grünen, die nach 31 Jahren aus dem Parlament geflogen sind und das positive Abschneiden der SPÖ. Entgegen allen Vorhersagen, trotz zahlreicher, fataler Wahlkampfpannen und „Friendly Fire“ vom eigenen rechten Rand konnte sie ihren Stimmenanteil halten. Seit dem Auffliegen der Silberstein Affäre war die SPÖ auf ihren Spitzenkandidaten und ihre Kernthemen reduziert. Und plötzlich funktionierte es. Schon seit langem habe ich bei Wahlkämpfen nicht mehr so viel Diskussionsbereitschaft und Interesse für die wirklichen Probleme erlebt: die hohen Mieten, die ungerecht Verteilung der Einkommen oder die langen Wartezeiten für Operationen. Ohne Kern und die Kernthemen wäre die Partei abgestürzt. Zur Mehrheit hat es nicht gereicht. Aber zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Nicht wegen, sondern trotz des Wahlkampfes. Ansatzweise war zu spüren, worin die Stärke einer inhaltlich ausgerichteten, lösungsorientierten Sozialdemokratie liegen könnte. Oft traf ich auf die gleichen Personen, die sich schon im Bundespräsidentenwahlkampf eingebracht hatten. Weil sie Schlimmes verhindern und vor allem, weil sie etwas bewirken wollten. Menschen, die das andauernde Machtgeplänkel und Koalitionsgeschwafel, das den österreichischen Politikbetrieb seit Jahrzehnten lähmt satthaben. Diese Menschen wollen sich aktiv beteiligen, denken projektorientiert und hassen es instrumentalisiert zu werden. Kerns Popularität erklärt sich daraus, dass man ihm zutraut(e), diese Erwartungen zu erfüllen. Er war immer dann stark, wenn er diese Offenheit signalisierte, wie in den Wochen nach seiner berühmten New Deal Rede im Nationalrat im Frühsommer 2016 oder in den chaotischen Wochen vor der Nationalratswahl. Das könnte, wenn die Krämpfe der Koalitionsbildung einmal ausgestanden sind, zu einem Trumpf für die Sozialdemokratie werden. Das voreilige Herumeiern um Rot-Blau in den ersten Tagen nach der Wahl war nicht gerade hilfreich.
Gefangen im immerwährenden österreichischen Alptraum
Rot-Blau wäre in der gegenwärtigen Situation politischer Selbstmord. Das Land würde dann endgültig nach rechts abdriften. Die Opposition wäre marginalisiert und damit würde auch die Chance auf Erneuerung schwinden. Schon jetzt gibt die FPÖ mit der mehr oder minder gleichgeschalteten Boulevardpresse die Themen vor. Meist hat das nicht mehr viel mit den realen Problemen und Herausforderungen zu tun. Spätestens seit dem denkwürdigen Sommer 2015 zieht sich ein Strom xenophober und neoliberaler Deutungsmuster durch alle politischen Diskussionen. Die Wählerschaft ist in einer Parallelwelt gefangen, in der es nur so von Sündenböcken wimmelt. Um an die Macht zu kommen reicht es aus, diese gefühlte Realität zu bedienen. So wie jetzt. Dies war möglich, weil Österreich seit beinahe 30 Jahren vom Rechtspopulismus infiziert und quasi in einem „immerwährenden Österreichischen Albtraum“ gefangen ist. Hin und wieder schien es, als wäre der Spuk vorbei. Aber es war wie bei Krake Hydra. Kaum war ein Kopf abgeschlagen, wuchs ein anderer nach. Alle Versuche einer Eindämmung des Rechtspopulismus scheiterten. Weder die Strategie der Ausgrenzung, noch die des Ignorierens oder der Versuch der Hereinnahme in die Regierungsverantwortung funktionierte. Besonders fatal erwies sich die Strategie, sich bestimmte Elemente des Rechtspopulismus, anzueignen, in der Hoffnung diesem so das Wasser abzugraben.
Machtergreifung durch Destruktion und Framing 
Sebastian Kurz ist der vorerst Letzte, der sich darin versuchte. Bislang mit Erfolg. Aber zu welchem Preis. Seine Machtübernahme hatte er von langer Hand mit Professionalität vorbereitet spätestens letzten Herbst, als Kerns Konzept eines New Deal aufzugehen schien, weil auch der Koalitionspartner bereit war mitzutun. Destruktion und Framing sind die Elemente seiner Strategie. Der Gegner – zunächst auch der eigene Vizekanzler, später dann nur mehr der mit ihm konkurrierende Bundeskanzler, durfte auf keinen Fall ins Spiel kommen. Was auch bestens gelang. Gleichzeitig musste ein glaubwürdiger Erklärungsrahmen (Frame) entwickelt werden. Erneuerer und Macher (politischer Neubeginn, Türkis, Quereinsteiger, Durchgriffsrechte etc.), der die Interessen der einheimischen Bevölkerung verteidigt. Also surfen auf der Welle des von der FPÖ im Verein mit den Boulevardmedien gepushten Narrativs. Auch wenns (ursprünglich anderen) eigenen Vorstellungen widersprach, hatte er sich doch seit dem Sommer 2015 in unzähligen Talkshows einen Namen als Hardliner gemacht. Nach dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ hatte er die Herzen seines überwiegend bürgerlichen Publikums gewonnen: Missbrauch von Sozialleistungen, Islamisierung im öffentlichen Raum oder NGO-Wahnsinn. Das war sein politisches Kapital. Diesen Faden durfte er nicht verlieren. Auch dann nicht, wenn die Realität dem widersprechen sollte, weil etwa die Flüchtlingszahlen zurückgingen. Das für die Machtergreifung notwendige Bedrohungsbild durfte niemals in Frage gestellt werden. Also lieber einmal übertreiben, als zuzugeben, dass es vielleicht auch Verbesserungen gab. Schwarz-weiß und ja nicht differenzieren. Dass Teile der Sozialdemokratie mit ihm wetteiferten, war dabei nur hilfreich. Kurzens Richtungsentscheidung war instrumentell begründet, sie hätte auch in eine andere Richtung gehen können, wenn der Zeitgeist anders gewesen wäre. Eigentlich wäre er ja gerne ein österreichischer Macron gewesen. Wichtig war, sich als ein Macher und Erneuerer profilieren zu können. Das Fundament für die eingeforderten revolutionären Veränderungen aber war dürftig. Je dürftiger der Inhalt desto übertriebener sind allerdings meistens die Gesten. Oder wie es Bronner/ Qualtinger in Anlehnung an Marlon Brando dem „Gschupften Ferdl“ in den Mund legten: „Ich hab‘ zwar ka Ahnung, wo i hinfahr, aber dafür bin i g’schwinder dort!“
Anything goes 
Jetzt sind wir also dort. Einige Kollateralschäden hat das ganze Manöver nach sich gezogen. Unter den gegebenen Umständen lässt sich Schwarz-Blau aber nicht mehr verhindern. Dazu hätte es mehr inhaltlicher Substanz bedurft, auf allen Seiten, nicht nur bei den handelnden Parteien, vor allem bei den Medien. Die entscheidende Frage ist daher, was uns Schwarz-Blau bringen wird? Blau weiß ziemlich genau was sie wollen, bei Schwarz ist das nicht so sicher, gar nicht eigentlich. Die Zeiten der ökosozialen Marktwirtschaft sind schon lange vorbei. Inhaltliche Leere hat sich breitgemacht. Ein bisschen Trittbrett fahren auf der fremdenfeindlichen Welle vielleicht. Damit lassen sich aber auch keine fünf Jahre bestreiten, auch wenn man von der FPÖ dauernd in diese Richtung getrieben wird. Die türkise ÖVP wird von neoliberalen Erregungen angetrieben werden. Ist man ja den Geldgebern auch schuldig, die den erfolgreichen Wahlkampf sponserten. Deshalb werden wir in den nächsten Monaten unentwegt hören, dass sich Leistung lohnt, Bürokratie abgebaut werden und der Einfluss des Staates zurückgedrängt werden muss. Es sei denn, wenn die Bürgerinnen und Bürger oder die Sicherheit es erfordert. Neoliberal wenns um die Wirtschaft geht und illiberal bei den Grund-und Menschenrechten. In diese Richtung wird es wohl gehen. Was das genau heißt, hängt von den Entwicklungen ab. Das Dilemma der künftigen schwarz-blauen Regierung liegt darin, dass ihre Gemeinsamkeit mangels inhaltlicher Tiefe in erster Linie im Interesse der Machterhaltung liegen wird. Ganz simpel. Mangels eigentlicher Substanz wird die Substanz durch die Abläufe generiert werden. Der Weg ist das Ziel. Es werden auch neue Feindbilder benötigt werden. Mit Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie wird man nicht das Auslangen finden. Aber wie werden die neuen Feindbilder aussehen? Was wir da alles erwarten können, sieht man am Beispiel Ungarns. Natürlich werden auch äußere Faktoren eine Rolle spielen. Die Koalitionspartner werden zwischen Brüssel und Budapest hin und hergerissen sein. Orbáns Umarmungen werden auch Sebastian Kurz bald unangenehm werden. Wenn Brüssel nicht die Fehler von 2000 wiederholt, dann wird es wohl auch nicht zum nationalen Schulterschluss von damals kommen. Was wir sicher nicht brauchen, sind Sanktionen durch die europäische Ebene. Kurz und seine Koalitionspartner werden bald merken, dass sie ohne Europa nicht weiterkommen und ein Einvernehmen suchen.
Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch
Schwarz- Blau muss mit Widerständen rechnen. Vor allem in Österreich. Auch wenn die Opposition zur Zeit nicht gut aufgestellt ist. Nicht nur, weil die Grünen existenzbedrohend geschwächt sind, sondern weil die Sozialdemokratie Opposition (noch) nicht beherrscht. Nach Jahrzehnten einfach aus allem auszusteigen, geht auch nicht so leicht. Ist aber auch nicht notwendig, wenn man die Oppositionsrolle konstruktiv anlegt. Die Menschen wollen kein Dauergezänk, wie das in der Großen Koalition gang und gäbe war. Sie wollen mit Alternativen konfrontiert werden. In den meisten europäischen Demokratien funktioniert das so. Vor allem aber wollen die Menschen mitreden: über Inhalte, über Personalfragen und über Richtungsentscheidungen. Das gilt besonders für eine Partei, in die das Kapital nicht unbedingt investiert, deren Kapital vielmehr ihre Mitglieder und UnterstützerInnen sind. Eine demokratische Öffnung würde die SPÖ auch bündnisfähig und sensibel für neue Themen machen. Das ist alles in den Jahren der Opposition gegen Schwarz-Blau nicht passiert. Daher muss die Sozialdemokratie die Fenster weit öffnen und frischen Wind hereinlassen. Sie muss eine Generaldebatte einleiten, bei der es um eine Wiederentdeckung der sozialen Frage und um eine Neubewertung der existentiellen Fragen geht. Die Menschen wollen Antworten auf ihre Ängste und sie wollen Teil der Lösung sein. Back to Basics, also. Aber es geht nicht nur um eine inhaltliche Neuaufstellung. Wir brauchen andere Organisation- und Entscheidungsstrukturen, nicht nur in der Partei. Der erstarrte österreichische Politikbetrieb ist einer der Gründe für die hartnäckige Politikverdrossenheit. Vor allem der Parlamentarismus muss gestärkt werden. Die Sozialdemokratie muss sich an die Spitze eines umfassenden Demokratisierungsprozesses stellen, so wie das damals Bruno Kreisky gemacht hat. Sollte sie dazu nicht fähig sein, dann wird die Geschichte über sie hinweg ziehen.