Ich bin in diesen Tagen viel unterwegs. Es gibt keine Veranstaltung, wo ich nicht auf das Freihandelsabkommen TTIP angesprochen werde. Die Menschen sind besorgt über die möglichen Konsequenzen, erbost über die intransparente Vorgangsweise und enttäuscht über „die EU“. Das ganze ist ein mittlerweile ein Desaster.
Niemand bestreitet, dass es internationale Handelsabkommen geben muss und kaum jemand wird meinen, dass wir gerade mit den USA nicht so etwas verhandeln sollten. Ein Abkommen zwischen den beiden (noch) größten Wirtschaftsblöcken könnte aus mehreren Gründen von Vorteil sein. Es könnte den Handel auf eine berechenbare Grundlage stellen und somit die Wachstumschancen auf beiden Seiten des Atlantiks vergrößern Vor allem ließen sich im globalen Wettbewerb auch Mindeststandards gegenüber Drittstaaten festschreiben. Je weitreichender allerdings ein derartiges Abkommen ist, umso größer sind auch die möglichen Gefahren. 
Die Festlegung von Mindeststandards kann zu einer Nivellierung nach unten führen. Europa fürchtet mit Recht um seine, im Vergleich hohen Sozial- und Umweltstandards. Vor allem aber besteht die Gefahr, dass ein solches Abkommen die Handschrift der großen globalen Konzerne trägt. Diese sind an möglichst einheitlichen Rahmenbedingungen interessiert und möchten daher den politischen Einfluss der Parlamente und Regierungen gering halten. Ein solches Instrument sind die sogenannten Investorschutzklauseln (ISDS). Streitigkeiten sollten demnach von Schiedsgerichten, die keiner nationalen Gesetzgebung unterliegen verhandelt werden. Auf diese Weise wird der Spielraum der Politik massiv eingeschränkt und die demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten beschnitten. Alles in allem ein fundamentaler Eingriff in Wirtschaft und Politik. So etwas haben wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Verhandelt wird das Abkommen von US Handelsministerium und von der EU Kommission. Am Ende muss das Ergebnis von den zuständigen Parlamenten beschlossen werden.
Eigentlich müsste es selbstverständlich sein, die Parlamente und alle Beteiligten in einen solchen Prozess miteinzubeziehen. Nicht nur der demokratischen Erfordernisse wegen, sondern auch aus politischer Klugheit. Der für TTIP zuständige Kommissar Karel De Gucht ging in die Verhandlungen wie der berühmte Elefant im Porzellanladen. Die Verhandlungen sollten unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich gehen. Offensichtlich setzte er auf eine Art Überrumpelungstaktik, in der Hoffnung am Ende der Verhandlungen würden die Parlamentarier das Ganze schon abnicken. Daher wurden vor allem Jubelbotschaften lanciert, wie viele Arbeitsplätze nicht geschaffen und wie sehr das Wachstum angekurbelt würde. Alles samt und sonders Luftblasen, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten. In der vordersten Reihe der Propagandisten stand die Bertelsmann Stiftung, die sich neoliberaler Mainstream Ökonomen wie Hans Werner Sinn bediente. Mit mäßigem Erfolg.
Allerorten wuchsen Kritik und Widerstand gegen das Abkommen. Die EU Kommission musste reagieren, wollte sie nicht das ganze Projekt gefährden. Zunächst versprach sie, die Zivilgesellschaft zu konsultieren, dann legte sie die Verhandlungen über ISDS aus Eis und letzte Woche kündigte De Gucht eine Online Konsultation zu diesem Thema an. Ein wichtiger Schritt, der freilich mehr zur Beruhigung der Lage als zur Lösung der Probleme dient. Wenn der Kommissar, dem offensichtlich diplomatisches Geschick abgeht, meinte, dass sich die Bürger zu wenig mit den Fakten beschäftigt hätten, dann gleicht dies einer Verhöhnung. De Gucht hatte bereits bei ACTA seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt und sich unter anderem auch über das Parlament belustigt, wo den ganzen Tag über viel geredet würde. Eigentlich hätte er nach seiner Abstimmungsniederlage zurücktreten müssen. Offensichtlich ist er aber einer, der alles aussitzt. Ob es sich um Insiderhandel, Steuerhinterziehung oder rassistische Rülpser handelt, er hat alles überlebt. Solches Führungspersonal schadet dem europäischen Projekt in jeder Hinsicht. Wie sollen die Menschen Vertrauen zu Europa entwickeln, wenn an der wichtigste Bühne Personen stehen, die nicht bereit sind, die Menschen ernst zu nehmen und deren Ängste kleinreden. Erfolgreiche Politik setzt Beteiligung voraus und politische Führung sollte auf dem permanenten Bemühen basieren, die Menschen zu überzeugen. Diese Fähigkeit fehlt vielen, die als Mitglieder der Europäischen Kommission derzeit an der Kommandobrücke stehen. Sie lenken das Schiff Europa in die verkehrte Richtung.
Deshalb braucht es am 25. Mai eine Richtungsänderung. Vor allem muss das Führungspersonal ausgewechselt werden. Mit einem neuen Kapitän, Martin Schulz, der, wenn die Sozialdemokratie zur stimmenstärksten Partei wird, Kommissionspräsident werden soll, können wir das erreichen. Er hat schon deutlich gemacht, dass er von der derzeitigen Politik der Kommission, die TTIP Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen, gar nichts hält.
„Verhandlungen tranparent führen“ Presseaussendung zum Freihandelsabkommen