Schon Wochen vor dem Fest ist Weihnachten allgegenwärtig. Leise rieselt die Fröhliche Weihnacht als aufdringliche Hintergrundmusik in den auf unsere Konsumation erpichten Kaufhäusern.
Nur mit großer Mühe ist es möglich, sich von all dem fernzuhalten. Und dennoch, irgendwann beginne ich alle Jahre wieder mich auf das Fest zu freuen.
Was wäre ein Leben ohne Weihnachten? Das sage ich als jemand, der mitten im 7. Lebensjahrzehnt steht. Für mich ist Weihnachten eng mit meiner Kindheit verbunden. Es gibt kein Fest im Jahreskreis, das für Kinder prägender ist als Weihnachten. Die allgegenwärtigen Lichter signalisieren nicht nur Erleuchtung, sie verheißen vor allem Wärme und Geborgenheit.
Der Heilige Abend quasi als Höhepunkt des Jahres, ein Tag der wechselseitigen Wertschätzung und Fürsorge und der Geschenke. Als Kind hab ich oft gefragt, warum nicht jeden Tag Weihnachten sein kann.
Alle Weihnachtsfeste, die ich bislang erleben durfte, waren von dieser Einzigartigkeit geprägt: voller Harmonie, Rücksichtnahme und Wertschätzung. Ich kann mich nicht erinnern, dass im Familienkreis jemals gestritten worden wäre. Vor allem aber gab es in unser aller Umkreis seit Jahrzehnten keinerlei kriegerischen Auseinandersetzungen.
Das heißt freilich nicht, dass dieses Thema am Heiligen Abend nicht vorgekommen wäre. Als Trauer um im Krieg gefallene Verwandte ebenso wie als schmerzhafte Erinnerung der Erwachsenen an Kriegsweihnachten in Not und Einsamkeit.
Wenn ich mir die Weihnachtsfeiern meiner Kindheit in Erinnerung rufe, dann sehe ich in den Gesichtern meiner Eltern nicht nur deren Freude an uns, ihren Kindern, sondern auch eine eigenartig anmutende Nachdenklichkeit: Dem Schlimmen entkommen zu sein und dem Bestreben, alles zu tun, dass so etwas nicht mehr passiert.
Von Jahr zu Jahr aber schwand die Nachdenklichkeit, weil man immer davon überzeugt schien, es würde nur mehr aufwärts gehen.
Wolfgang Borchert, der große Nachkriegsliterat, hat eine beeindruckende Weihnachtsgeschichte verfasst, die im ersten Nachkriegswinter spielt. In einer unbeheizten Wohnung in einer dunklen Vorstadt bringt eine Frau, ganz auf sich alleingestellt, ihr Kind zur Welt. Ihr Mann kommt nach Hause. Das Neugeborene ist erst eine Stunde alt und schläft. Unterwegs hat er morsches Holz gefunden, mit dem er nun den Ofen in der dunkeln, kalten Wohnung befeuert. Dann passiert etwas, das uns irgendwie bekannt vorkommt und sich trotzdem davon abhebt. Ein paar Zeilen im Originalton:
„Die Frau sagte leise: Kuck, wie ein Heiligenschein, siehst du?… Dann waren welche an der Tür. Wir sahen das Licht, sagten sie, vom Fenster. … Drei waren es. In drei alten Uniformen. Einer hatte einen Pappkarton, einer einen Sack. Und der dritte hatte keine Hände. Erfroren, sagte er, und hielt die Stümpfe hoch…Die Frau machte die blassen blauen Augen weit auf, als sie die drei über das Kind gebeugt sah. Sie fürchtete sich. Aber da stemmte das Kind seine Beine gegen ihre Brust und schrie so kräftig, dass die drei Dunklen die Füße aufhoben und zur Tür schlichen….das Kind hat geschrien, flüsterte die Frau, ganz stark hat es geschrien…Weint er? fragte der Mann. Nein, ich glaube, er lacht, antwortete die Frau. Beinahe wie Kuchen, sagte der Mann und roch an dem Holz, wie Kuchen. Ganz süß. Heute ist ja auch Weihnachten, sagte die Frau…“
Borcherts Geschichte hat keinen religiösen Bezug, dennoch kommt sie der Weihnachtsbotschaft sehr nahe. Der Vater ist ein mit seinem Leben unzufriedener Mann, gewillt irgendjemand „die Fäuste ins Gesicht zu schlagen“.
In dem Moment, da sein Sohn ins Leben tritt, tauchen die drei Versehrten auf. Sie hätten ob ihres Schicksals allen Grund zornig und gekränkt zu sein. Aber sie haben Geschenke mitgebracht, einen geschnitzten Esel für das Baby, Bonbons für die Mutter und Zigaretten für den Vater, die sie gemeinsam außerhalb der Wohnung rauchen. Die Botschaft dieser drei Weisen ist klar: jedes Leben verdient Respekt und Wertschätzung. Diese äußert sich vor allem in der Bereitschaft zum Teilen.
Eine deutliche und nicht selbstverständliche Botschaft im Winter 1945. Niemand konnte ahnen, dass diese Erkenntnis Grundlage für das deutschen Wirtschaftswunder war. Eine lange Zeitspanne der Prosperität: noch nie war es in der Geschichte hierzulande so vielen Menschen solange so gut gegangen.
In diesen Jahrzehnten veränderte sich Weihnachten. Die Stille Zeit mutierte in ihr Gegenteil, in den jährlich wiederkehrenden kollektiven Konsumrausch. Der materielle Wert der Weihnachtsgeschenke geriet immer mehr in den Vordergrund. Und auch das Weihnachtsmahl wurde immer üppiger. Galt in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Verzehr von heissen Würstchen am Heiligen Abend noch als etwas besonderes, so bogen sich ab den 70-er Jahren die Tische voller exotischer Gerichte. Ich erinnere mich noch genau, als es bei uns zuhause für mich bis dahin unbekannte Oliven gab. Das muss Ende der 50-er Jahre gewesen sein. Im Innviertler Dorf meiner Kindheit war das etwas Außergewöhnliches und Gesprächsthema in der Schulklasse.
Weihnachten wurde zum Benchmark des sich ausbreitenden Wohlstandes und damit immer mehr zum Fest der Erfolgreichen, jener also, die selbst im Licht standen.
Es gab aber auch viele, die da nicht mithalten konnten – die im Dunkeln sieht man bekanntlich nicht. Menschen, die in die Einsamkeit gedrängt wurden, ebenso wie jene, die materielle Not durchmachten und sich Weihnachten nicht leisten konnten. Das blieb nicht verborgen und bereitete vielen ein schlechtes Gewissen.
Weihnachten wurde so zur Glanzzeit öffentlich zur Schau gestellter Wohltätigkeit. Die Zahl der einschlägig tätigen Charities vermehrte sich seit den 70-er Jahren spürbar. 1973 etwa ist das Gründungsjahr von Licht ins Dunkel. Wie immer man auch zu solchen Aktivitäten stehen mag, weil manches dabei auch Züge von Selbstbeweihräucherung trägt, so sind sie auch Beleg dafür, dass eine Gesellschaft zur Selbstkritik fähig ist und ihre Unzulänglichkeiten zumindest symbolisch zu korrigieren versucht.
Davon war in den östlichen Ländern Europas nichts zu spüren, wo per definitionem alles in Ordnung war, auch wenn das nicht mit der Realität im Einklang stand. Nicht nur private Wohltätigkeit war verboten, auch das Weihnachtsfest war den kommunistischen Regimen ein Dorn im Auge. Freilich gelang es nicht, die Menschen davon abzuhalten, im privaten Kreis Weihnachten zu feiern. „Väterchen Frost“, der als Gegenmodell zum Christkind stilisiert wurde, konnte da nicht mithalten.
Der Fall des Eisernen Vorhangs brachte die beiden Hälften Europas einander näher und führte auch dazu, dass man überall am Kontinent wieder Weihnachten feiern durfte. Ich erinnere mich an den Dezember 1989. Der weihnachtliche Lichterglanz von Linz übte eine geradezu magnetische Wirkung auf unsere südböhmischen Nachbarn aus.
1989 hätte ein Neubeginn sein können. Dazu hätte es aber eines wechselseitigen Interesses bedurft. Auf westlicher Seite dominierte ein Gefühl der Überlegenheit. Triumphalistisch redete man vom „Ende der Geschichte“. Der Westen hätte ein für allemal gesiegt.
Seither hat sich vieles verändert. Der Klimawandel wird immer unabwendbarer, die Ungleichheit nimmt rapide zu und hinterlässt Verzweiflung und Zorn. Das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schwindet und den Menschenrechten wird die Allgemeingültigkeit abgesprochen. Immer häufiger wird versucht internationale Konflikte mit Waffengewalt zu lösen. Eine Zeitenwende kündigt sich an. Die Stimmung ähnelt jener der 30-er Jahre. Empathie wird als Zeichen der Schwäche verunglimpft. Das Gemeinsame tritt in den Hintergrund. Überall werden die Ellbogen ausgefahren und die Reviere abgesteckt. Interesse an Fremden zu zeigen gilt als unpatriotisch. Menschen werden nach nationaler und ethnischer Zugehörigkeit kategorisiert. Und auch danach, ob sie unsere Zuwendung verdienen. So etwas läuft auf einen Kampf Aller gegen Alle hinaus, bei dem niemand gewinnen kann.
Die Weihnachtsgeschichte – ob wir nun religiös oder nicht sind – sollte uns – gerade jetzt – Mahnung und Erleuchtung sein. Wie wir mit Zugewanderten oder Menschen auf der Flucht umgehen, das darf nicht nach politischem Kalkül entschieden werden. Es zählt der Wille für einander da zu sein.
Es gibt auch moderne Weihnachtsgeschichten. Ich erinnere mich an einen sehr lieben Menschen – es war im Winter 2015 – der als Weihnachtsgeschenk eine große Schachtel Bananen in eine Flüchtlingsunterkunft brachte. Als er nach ein paar Tagen wiederkam schlief in dieser Schachtel ein Baby. Eine Bananenschachtel als Weihnachtskrippe….
Weihnachten darf nicht spalten und nicht zur Ausgrenzung anderer mißbraucht werden. Es ist das Fest der Nächstenliebe und der Versöhnung, ein Fest für Alle und nicht nur für die „Unsrigen“.