Selten hat mich etwas so aufgewühlt wie mein Besuch im Heiligtum der Jesiden im kurdischen Lalish, heuer im Jänner.
Es schneite und es war grimmig kalt. Normalerweise darf man sich hier nur bloßfüßig bewegen. Das wollte man uns nicht zumuten.
Zeichen einer Flexibilität und Großzügigkeit, wie sie für diese, von ihren Feinden auch als „Teufelsanbeter“ denunzierten Religionsgemeinschaft charakteristisch ist. Bewusst verzichten sie auf Missionierung.
Solch uneigennütziges Verhalten fand freilich in der mehrtausendjährigen Geschichte nicht nur Würdigung. 73 mal waren sie von Ausrottung und Vernichtung bedroht. So auch im Sommer 2014.
Versuch der Ausrottung
Die Daesh-IS Terroristen setzten alles daran, die Jesiden auszurotten. Tausende Ermordete, tausende versklavte Frauen und hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene. Ich traf Augenzeugen der Massaker, entführte Frauen und Mädchen, die sich unter abenteuerlichen Umständen befreien konnten. Ich besuchte Flüchtlingslager und informelle Settlements. Überall das gleiche Bild. Menschen, die alles aufgeben mussten, ihre Lieben und ihr Hab und Gut verloren hatten, nur weil sie nicht in das Primitivschema der Fundamentalisten passten.
Darunter viele Christen. Manche von ihnen sprachen Aramäisch, die Sprache Jesu. Sie waren immer hier. Schon vor dem Islam und schon zu Zeiten, als in Mitteleuropa noch römische und germanische Götter verehrt wurden. Seit jeher war die nordirakische Ninive- Ebene von unterschiedlichen Ethnien und Religionen bevölkert. Trotz ständig wiederkehrender Verfolgungen.
Das Leid, das die Menschen in dieser Gegend – Jesiden, Christen, Shabbak, Schiiten und Sunniten, die sich der salafistischen Beugung des Islam nicht unterwerfen wollen innerhalb eines Jahres ertragen mussten, ist kaum vorstellbar. Ermordung, Entführung, Versklavung, Flucht und Vertreibung.
Vor allem Ungewissheit, ob man jemals wieder zurückkehren kann und was mit jenen ca. 3000 Jesidinnen und Jesiden geschieht, die teilweise seit August in der Gefangenschaft der Terroristen sind.
Mitunter konnten Einzelne flüchten. Ende April war dies einer größeren Gruppe gelungen. Das führte zu Strafmaßnahmen, Männer und Frauen wurden getrennt und ausgesondert.
Neue Massenerschießungen
Seither gibt es widersprechende Meldungen. Gesichert ist, dass 57 Frauen und Mädchen auf Sklavenmärkte verschleppt und dannverkauft wurden und dass es offensichtlich am Freitag zu einer Massenerschießung kam. Nach Angaben des Gouverneurs von Mosul sollen 185 Menschen den Tod gefunden haben. Andere Quellen sprechen von 500. Es ist schwer möglich diese Zahlen zu verifizieren.
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Feststeht, dass in diesen Tagen im Nordirak ein weiteres grässliches Kriegsverbrechen geschehen ist. Feststeht auch, dass dies eigentlich die wenigsten interessiert.
Wäre ich im Jänner nicht im Nordirak gewesen, so wären diese Gräueltaten wahrscheinlich auch an mir vorbeigegangen.
Bei meinem Besuch im Heiligtum der Jesiden in Lalish habe ich mir geschworen, alles zu tun, um diesen Menschen zu helfen. Vor allem die Entscheidungsträger zu bewegen nicht wegzuschauen.
Ich habe Memos geschrieben, Kollegen agitiert, habe Resolutionen des Europaparlaments zur Lage von Jesiden und Christen lanciert und ausverhandelt und mich wiederholt in der Fraktion, im Ausschuss und im Plenum zu Wort gemeldet. Und auch wenn ich manchen lästig fallen muss, ich werde weitermachen. Solange bis diese Menschen ein Leben ohne Angst und Furcht führen können und die Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Strafgerichtshof stehen.