Josef Weidenholzer über die von Edward Snowden übermittelten Antworten für das Europäische Parlament

In seiner Rede spricht Joe Weidenholzer über die von Edward Snowden übermittelten Antworten auf die Fragen das Europäischen Parlaments. Ohne ihn hätte das Europäische Parlament den Untersuchungsausschuss zum Überwachungsskandal nicht durchführen können und daher ist Snowden speziell dafür zu danken.
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Ein historischer Tag für Privatsphäre in Europa

Heute war ein wahrlich historischer Tag für die Privatsphäre in Europa. In den vergangenen Monate hat der Innenausschuss des EU-Parlaments einen umfangreichen Bericht zur Überwachungsaffäre erarbeitet und heute darüber abgestimmt. Aus den insgesamt 521 Abänderungsanträgen zum Bericht ist es nun gelungen, 74 Kompromisse zu formulieren. Der Bericht wurde mit 33 Stimmen, 7 Gegenstimmen und 17 Enthaltungen angenommen.
Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres spricht sich mit diesem Bericht klar gegen Massenüberwachung und für die (Wieder)Herstellung von Datenschutz als Grund- und Menschenrecht aus. Konkret fordert der Bericht, neben einer schnellstmöglichen Umsetzung des Datenschutzpaketes, auch eine Suspendierung des Safe-Harbour-Abkommens. Auch die IT-Unabhängigkeit der Europäischen Union soll gestärkt werden, um die bestehende Abhängigkeit von den USA in Zukunft zu verhindern und einen starken europäischen Datenschutz Standard zu haben. Gleichzeitig müssen die Verhandlungen über  ein Rahmenabkommen mit den USA zum Schutz der Daten verstärkt werden.
Auch in Bezug auf stärkeren Schutz für Whistleblower in Europa konnte sich Joe Weidenholzer mit seinen Anträgen durchsetzen. Der Bericht fordert die Mitgliedsstaaten zu Untersuchungen auf, wie Whistleblowern Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung gewährt werden kann. Das ist ein wichtiges Signal der Union gegenüber den USA, dass die Wahrheit zu sagen nicht als Verbrechen gilt, sondern  Schutz verdient. Aufdecker müssen endlich Rechte zugestanden werden, denn nur wenn wir Informanten Sicherheit gewähren, können solche Skandale wie der NSA Überwachung ans Tageslicht kommen.
Die Sozialdemokraten im Europaparlament haben mit ihrer Arbeiten im Innenausschuss klar gemacht, auf welcher Seite sie stehen.  Nämlich auf der Seite der Menschen, der Bürgerrechte und des Datenschutzes!
Alle Detail zu den Kompromissen können hier nachgelesen werden: Kompromisse zum NSA Bericht

Sieben Schritte gegen Überwachung

Nach 16 Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum NSA-Überwachungsskandal hat der Berichterstatter Claude Moraes (GB, S&D) am Donnerstag, den 9. Jänner 2013 den Endbericht vorgestellt. Dieser Bericht fasst die Ergebnisse der Befragung von 77 Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Technik, Zivilgesellschaft, EU-Institutionen, Wirtschaft, den EU-Mitgliedsstaaten, den USA und Brasilien zusammen und setzt damit ein deutliches Zeichen gegen die globale Totalüberwachung des Internets durch Geheimdienste. Neben einer Zusammenfassung der Tätigkeiten des Ausschusses werden darin auch sieben Forderungen gestellt.
Im Mittelpunkt dieses Berichts stehen die Beschuldigungen der von Whistleblower Edward Snowden veröffentlichten Dokumente zur globalen Überwachung des Internets. Darin wird aufgezeigt, wie die Geheimdienste der „Five Eyes“ Mitglieder USA, Großbritannien, Neuseeland, Kanada und Australien mit Programmen wie PRISM, Tempora, Bullrun und XKeyscore operieren. PRISM ist ein Data Mining Programm, das Daten aus gespeicherten Internet-Kommunikationen von namhaften Internetdienstleistern wie Google, Microsoft oder Facebook bezieht. Der britische Geheimdienst GCHQ sammelt damit alleine 21 Petabyte (22.020.096 Gigabyte) an Daten – das Ausmaß der siebenmal größeren NSA ist nicht abschätzbar. In der Zukunft wird das weltweite Datenaufkommen geradezu explodieren: alle zwei Tage erzeugt die Menschheit mehr Daten wie von Beginn der Zivilisation bis 2003; hochgerechnet rund fünf Exabyte (5.368.709.120 Gigabyte) an Informationen. Tempora wiederum zapft den Internetverkehr von Bürgerinnen und Bürgern systematisch an Knotenpunkten ab und leitet diesen Traffic auf separate Server zur Sammlung weiter – sollte Verschlüsselung eingesetzt worden sein, wird das Programm Bullrun zur Entschlüsselung genutzt. XKeyscore analysiert dann die gesammelten Daten, ordnet diese Profilen zu und speichert das Profil ab.
Um diese Praktiken verhindern zu können, stellt der Bericht sieben Forderungen auf:

  • Schnellstmögliche Umsetzung des bereits vom EU-Parlament zugestimmten Datenschutzpakets, welches derzeit noch vom Rat verhindert wird
  • Schaffung eines EU-US Rahmenabkommens (Umbrella Agreement) um EU-BürgerInnen Entschädigungsmechanismen bei Strafverfolgung zu gewähren
  • Suspendierung des SWIFT Abkommens (TFTP)
  • Suspendierung des Safe Harbour Abkommens
  • Schutz der Rechtsstaatlichkeit, der Grund- und Menschenrechte der EU-Bürger, Fokus auf die Gefahren für die Pressefreiheit und erweiterten Schutz für Whistleblower
  • Erarbeitung einer Strategie für die IT-Unabhängigkeit der Europäischen Union
  • Entwicklung der EU zu einem Paradebeispiel für demokratische und neutrale Internetrechtsgebung

Doch neben diesen Forderungen sollte noch konsequenter vorgegangen werden. Zum einen sollten die Verhandlungen zum EU-US Handelsabkommen (TTIP) solange gestoppt werden, bis eine lückenlose Aufklärung der Beschuldigungen erreicht wurde, zum anderen muss auch die Privatwirtschaft ihren Beitrag leisten – durch erweiterte Verschlüsslung, „Privacy by Design“ und Haftbarkeit für Sicherheitsprobleme bei Produkten. Doch das ist noch nicht das Ende des Untersuchungsausschusses – der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres stimmt am 30. Jänner 2014 darüber ab, das Parlament dann im März. Auch Edward Snowden wird sich im Jänner noch vor dem Ausschuss via Videobotschaft aussagen.
Der Bericht kann hier nachgelesen werden: Bericht auf der Homepage vom EU-Parlament

Sicherheit darf nicht über Privatsphäre gestellt werden

Bei der siebten Untersuchungssitzung zum Überwachungsskandal ging es vor allem um die rechtliche Komponente von Überwachung. Um ein möglichst breites Bild zu bekommen, wurden Expertinnen und Experten von Universitäten, Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte  und NGOs eingeladen, um vor dem Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres zu referieren. Neben den rechtlichen Aspekten wurden auch die von 3 NGOs eingereichten Klagen bzgl. der Überwachung von Europäischen Bürgerinnen und Bürgern behandelt.
In Session 1 erklärten Martin Scheinin, gewesener UN Berichterstatter, Bostjan Zupan?i?, Richter beim Gerichtshof für Menschenrechte und Douwe Korff, Professor an der London Metropolitan University, wie der kollektivistische Überwachungsstrategien systematisch Grund- sowie Menschenrechte untergraben. Dabei geht es vor allem um die Missachtung der Artikel 8 und 17 der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Geheimdienste NSA und GCHQ, die besagen, dass jedes Eindringen in die Privatsphäre den Prinzipien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen. Alle Gäste indizieren, dass ein sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Grundprinzipien der Menschenrechte verletzt wurden. Ob der Frage, wie dieser Verletzung rechtlich belangt werden kann, ist man strittig – Scheinin und Korff sehen einen zwischenstaatliche Klage der Mitgliedsstaaten und den USA als beste Lösung; Zupan?i? sieht es als äußerst unwahrscheinlich an, die USA rechtlich belangen zu können.
In Session 2 behandelten Dominique Guibert, Vize-Präsidentin von „Lique des Droits de l’Homme“, Nick Pickles, Direktor von „Big Brother Watch und Constanze Kurz vom „Forschungszentrum für Kultur und Informatik“ deren eingebrachte Klagen gegen NSA und GCHQ. Durch die Bank wurde gefordert, dass eine lückenlose Aufklärung der durch Edward Snowden aufgeworfenen Fragen erfolgen muss – überhaupt in Anbetracht der Tatsache, dass Sicherheit leider zu oft über die Menschenrechte gestellt wurden. Es sollte evaluiert werden, wie die Wechselwirkung zwischen Gewährleistung von Sicherheit und gleichzeitiger Einhaltung der Menschenrechte, ausbalanciert werden kann, damit die Bürgerinnen und Bürger nicht zum gläsernen Mensch mutieren. Ob diese Klagen eine volle Aufklärung des Überwachungsskandals erwirken können, steht noch in den Sternen. Das Europäische Parlament kann am 21.Oktober 2013 aber einen großen Schritt setzen: mit der Zustimmung des neuen Datenschutzpakets.
CREDITS: Bild von Taz.de

Offizielles Statement von Edward Snowden für das Europäische Parlament

Am 30. September 2013 fand der 4. Untersuchungsausschuss über den Überwachungsskandal der NSA statt. Bei diesem Meeting wurde von Jesselyn Radack ein offizielles Statement von Edward Snowden verlesen, bei dem er sich für die Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss des LIBE Ausschusses, eingerichtet durch das Europäische Parlament, ausspricht.

Hier das Statement in deutscher Übersetzung:
„Ich bedanke mich beim Europäischen Parlament und LIBE Ausschuss dafür, dass Sie der Herausforderung der Datenüberwachung stellen. Die Überwachung von ganzen Bevölkerungen, ist die größte Herausforderung für die Menschenrechte unserer Zeit. Der wirtschaftliche Erfolg von entwickelten Ländern hängt immer mehr von deren kreativen Output ab. Wenn wir diese Erfolge weiterführen wollen, müssen wir uns daran erinnern, dass Kreativität das Produkt von Neugier ist, das wiederum das Produkt von Datenschutz ist.“

Eine Geheimhaltungskultur hat unserer Gesellschaft die Möglichkeit verhindert, das Gleichgewicht zwischen dem Menschenrecht auf Privatsphäre und dem staatlichen Interesse in Aufklärung zu ermitteln.
Das sind keine Entscheidungen, die für die Menschen, sondern von den Menschen selbst, nach einer voll informierten und angstlosen Debatte, gemacht werden sollten. Jedoch ist eine öffentliche Debatte nur mit entsprechendem öffentlichen Wissen möglich. In meinem Land ist es so, dass jemand in meiner Position, der öffentliches Wissen an die Öffentlichkeit zurückgibt, vom Staat verfolgt und ins Exil getrieben wird.
Wenn wir in Zukunft solche Debatten genießen dürfen, können wir nicht von persönlicher Aufopferung angewiesen sein. Wir müssen bessere Kanäle für wissende Menschen schaffen um nicht nur vertrauenswürdigen Regierungsverantwortlichen dieses Wissen zu übermitteln, sondern auch unabhängigen Verantwortlichen außerhalb der Regierung.
Als ich mit meiner Arbeit begonnen habe, war die einzige Intention, jene Debatte in allen Regierungen der Welt möglich zu machen, die hier in dieser Institution stattfindet.
Heute sehen wir legislative Institutionen neue Komitees formen, die um eine Aufklärung rufen und neue Lösungen für moderne Probleme vorschlagen. Wir sehen ermutigte Gerichte, die nicht mehr davor ängstlich sind, auch kritische Fragen der nationalen Sicherheit zu überdenken. Wir sehen mutige BeamtInnen, die sich daran erinnern, dass, wenn die Öffentlichkeit daran gehindert wird, zu sehen wie sie regiert werden, das unausweichliche Ergebnis ist, dass sich die Öffentlichkeit nicht mehr selbst regiert. Und wir sehen, dass die Öffentlichkeit wieder einen gleich großen Platz am Tisch der Regierung einfordert.
Die Arbeit einer Generation verweilt hier bei Ihren Untersuchungssitzungen und Sie haben meine volle Dankbarkeit und Unterstützung.

Das englische Transkript stammt von firedoglake.com:

I thank the European Parliament and the LIBE Committee for taking up the challenge of mass surveillance. The surveillance of whole populations rather than individuals threatens to be the greatest human rights challenge of our time. The success of economies in developing nations relies increasingly on their creative output and if that success is to continue we must remember that creativity is the product of curiosity, which in turn is the product of privacy.
A culture of secrecy has denied our societies the opportunity to determine the appropriate balance between the human right of privacy and governmental interest in investigation.
These are not decisions that should be made for the people but only by the people after full informed and fearless debate. Yet public debate is not possible without public knowledge and in my country the cost for one in my position of returning public knowledge to public hands has been persecution and exile.
If we are to enjoy such debates in the future, we cannot rely on individual sacrifice. We must create better channels for people of conscience to inform not only trusted agents of the government but independent representatives outside of the government.
When I began my work, it was with the sole intention of making possible the debate we see occurring here in this body and in many other bodies around the world.
Today we see legislative bodies forming new committees, calling for investigations and proposing new solutions for modern problems. We see emboldened courts that are no longer afraid to consider critical questions of national security. We see brave executives remembering that if a public is prevented from knowing how they are being governed the necessary result is that they are no longer self-governing. And we see the public reclaiming an equal seat at the table of government.
The work of a generation is beginning here with your hearings and you have the full measure of my gratitude and support.

CREDITS: Bild aus dem Film PRISM von Laura Poitras/ Praxis Films