Ich bin ein alter Sozi. In diesen Tagen geht es mir nicht gut. Ich leide am Zustand meiner Partei. Ich bin entsetzt über die Vorgänge im Burgenland. Diese stellen eine historische Wende dar. Ein Dammbruch ist passiert. Der Damm ist an einem seiner schwächsten Punkte gebrochen.
Die Freiheitlichen sind zum Joker der österreichischen Innenpolitik geworden. Nichts geht mehr ohne sie. Kein Tag vergeht, wo sich nicht irgendein Sozialdemokrat zur derzeitigen Causa Prima Österreichs- ob man sich mit der FPÖ ins Bett legen soll – äußert. Niemand weiß, was dabei herauskommt.
Die Verwirrung ist allgegenwärtig. Verärgerung und Resignation machen sich breit. Menschen, für die die SPÖ einmal alles war, wenden sich ab oder verlassen die Partei, wie Sonja Ablinger und viele andere. Es tut mir leid, dass wir sie verlieren.
Kreiskys Erbe
Wir haben viele verloren seit 1970. In diesem Jahr, genau am 1.März bin ich in die Partei eingetreten. Es war eine großartige Aufbruchsstimmung. Viele waren Bruno Kreiskys Einladung gefolgt, ein Stück des Weges mit der SPÖ zu gehen. Die SPÖ wurde zu einer erfolgreichen Erneuerungsbewegung, gewann eine Wahl nach der anderen und legte den Grundstein für ein modernes und weltoffenes Österreich.
Noch heute zehren wir vom Erbe Kreiskys. Leider hat sich die SPÖ bei der Verwaltung dieses Erbes aufgezehrt. Die Hälfte der Wählerschaft ging verloren, bei den Mitgliedern war der Rückgang noch deutlicher. Konsum, BAWAG und Co. stehen nicht mehr zur Verfügung.
Und heute würde niemand mehr von der „Roten Reichshälfte“ reden.
Rot und Schwarz zusammen haben es gerade noch geschafft, eine einfache Mehrheit im Nationalrat zu erlangen. Das Problem liegt also nicht nur bei der SPÖ. Immer mehr Menschen verweigern sich den einstigen Großparteien, die gemeinsam die Zweite Republik aufgebaut haben. Die Zweite Republik – schon oft totgesagt – scheint nun wirklich an ihr Ende zu kommen.
Dieser Zusammenbruch ist nicht auf die Angriffskraft der FPÖ zurückzuführen. Der Zusammenbruch gleicht eher einer Implosion. Materialermüdung könnte man es auch nennen.
Christoph Kotanko meinte unlängst treffend: „Strache arbeitet mit wenig Eigenkapital, die Regierung verschafft ihm das Fremdkapital.“
Was ist passiert? Das Erfolgsmodell Zweite Republik war eine Art goldener Gleichgewichtszustand von eigentlich im Widerspruch zueinanderstehenden Partikularinteressen, zwischen den Sozialpartnern, zwischen Schwarz und Rot und zwischen den Ländern. Im Gegensatz zur fragmentierten Ersten Republik brachte das Österreich voran.
Allerdings hatte das seinen Preis. Konflikte wurden nicht mehr öffentlich ausgetragen, sondern hinter verschlossenen Türen geregelt. Die Folge waren ein strukturelles Demokratiedefizit, eine unterentwickelte Streitkultur mit häufig infantilen Zügen und eine entpolitisierte Medienlandschaft.
Jahrzehntelang erstickte die stolz zur Schau getragene Selbstgefälligkeit jeden Versuch, das System zu verändern.
Es mangelte keineswegs an der Erkenntnis, dass sich etwas ändern müsse. Aber alle Versuche scheiterten an Partikularinteressen. Besonders die Länder erwiesen sich als Bremsfaktor. Sie gerieren sich mitunter als wären sie unabhängige Staaten. Und niemand hindert sie, wie im Falle Kärntens, das einen finanziellen Megagau, an dem wir noch lange leiden werden, herbeiführte.
Das System der Sozialpartnerschaft deckt immer weniger ab, da vieles mittlerweile außerhalb der organisierten Bereiche geschieht. Und die beiden Ex-Großparteien befinden sich in einer existenziellen Krise.
Der Zerfall der Zweiten Republik ist aber auch auf externe Faktoren zurückzuführen. Der goldene Gleichgewichtszustand funktionierte nur unter Bedingungen eines weitgehend geschlossenen Systems. Spätestens mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist es mit der Ruhe vorbei. Zudem begannen die Kräfte der Globalisierung, der wir im Übrigen unseren, immer noch bemerkenswerten Wohlstand verdanken, ihre Wirkung zu entfalten.
Ein einziges Mal reagierten die Eliten richtig, als sie mit viel Propagandaaufwand den EU-Beitritt vorantrieben. Allerdings haben sie sich nie wirklich mit der neuen Situation angefreundet und die vielen neu entstandenen Chancen wirklich genutzt. Dabei sein und mitnörgeln reicht nicht aus, um die Bevölkerung zu überzeugen.
Die nationalen Probleme mit dem Versagen der EU zu erklären ist eine fatale Sackgasse.
Politik der Schuldzuweisung
Diese über jede Selbstkritik erhabene Politik hat dazu beigetragen, dass wir uns zum Opfer einer bedrohlichen Außenwelt stilisieren konnten. Immer mehr Österreicher leben in einer Parallelwelt, in der grundsätzlich nur die Anderen schuld sind. Ursache ist die Unfähigkeit der Eliten, Probleme zu erklären und die Menschen an deren Lösung zu beteiligen. Vor allem aber, dass vieles gar nicht angesprochen wird, wie die steigende Armut oder immer mehr um sich greifende Zukunftsängste der Menschen. Jetzt rächt sich, dass die Zweite Republik eine demokratiepolitische Wüste war und ein politischer Diskurs unabhängig von tagespolitischem Hickhack kaum existierte.
In einem solchen Vakuum haben es jene leicht, die einfache Erklärungen anbieten und Schuldige benennen. Schon lange spielt die FPÖ auf diesem Klavier. Seit dem Innsbrucker Parteitag ist sie zu einer rechtspopulistischen Partei mutiert, die erfolgreich die Unzufriedenen um sich sammeln konnte. Zentrales Element dieser Strategie war wie schon in den 30er Jahren die Idee der Volksgemeinschaft. Wir und die anderen: „Daham statt Islam“, „Österreich zuerst“ usw. bedienen dasselbe Sujet.
Diese Strategie funktioniert dann besonders gut, wenn die Realität ausgeblendet bleibt. Die fremdenfeindlichen Kampagnen der FPÖ verfangen dort besonders gut, wo der Migrantenanteil niedrig ist. Also je mehr die Menschen miteinander zu tun haben, umso geringer die Wahrscheinlichkeit der Schuldzuweisung. Die Menschen dürfen also nicht wissen, wie es wirklich ist. Die Realität wird zurechtgebogen und zurechtgelogen.
Die FPÖ ist in Migrationsfragen nicht konstruktiv. Sie ist konstruktivistisch unterwegs. Es grenzt an Verhetzung, was in sozialen Medien an falschen Zahlen kursiert und bereitwillig von ihren Funktionären verbreitet wird. Immer mehr Menschen halten die Hetze für Realität. Mit I-Phone ausgestattete junge Männer, die mit Lunchpaketen um sich werfen und mehr als ein durchschnittlicher Facharbeiter verdienen, bedrohen brave österreichische Bürger und zwingen ihnen eine fremde Kultur auf. Sie haben es sogar darauf abgesehen, uns daran zu hindern, mit unseren Kindern Nikolaus zu feiern.
So oder so ähnlich kann man das landauf und landab hören. Und dass es nur einen gäbe, der es den unfähigen „Weicheiern“, diesen gutgläubigen „Gutmenschen“ zeigen kann, den Anführer der sozialen Heimatpartei.
Je schwächer die ehemaligen Großparteien werden und je stärker die selbst ernannten Retter aus tatsächlicher und herbeigeredeter Not, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dies zu Koalitionen mit ihnen führt. Das ist der arithmetische Aspekt. Schwer vom Tisch zu wischen.
Dann gibt es den populistischen Aspekt, man könnte es auch das einfältige Kalkül nennen. Wenn die Rechtspopulisten immer mehr Zuspruch finden, dann könnte man doch versuchen davon zu profitieren. In dem man diesen Regierungsverantwortung überträgt und auf diese Weise das Frust-Potenzial abarbeitet. Durch die Regierungsbeteiligung würden sie entzaubert und gleichzeitig würde man selbst an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.
Ein fataler Irrtum. Das ist die Lehre aus den verlorenen Jahren von Schwarz-Blau.
Deshalb war Hans Niessls vorsätzlich herbeigeführte Koalition ein schwerer Fehler. Er bedeutet einen Wendepunkt. Ab nun sitzt die FPÖ immer mit am Tisch, kann ihre Bedingungen stellen und die beiden ehemaligen Großparteien vor sich hertreiben. Absurde Manöver, wie jenes in der Steiermark sind die Folge. Das letzte, was Schwarz und Rot noch an Gemeinsamkeit verblieben ist, wird beim Ringen, wer als Zweiter hinter der FPÖ landen wird, verloren gehen. Beide werden in infantiler Weise übereinander herfallen. Und lachen wird der Dritte, der sich historisch immer als dritte Kraft verstand und dem die Dritte Republik spätestens seit Jörg Haider ein Anliegen war.
Die Flucht in Rot-Blau, mit der manche sozialdemokratische Funktionäre liebäugeln, bedeutet den Schritt in eine andere Republik. In eine Republik, die sich vorrangig selbst genügt und wohl auch autoritärer konstruiert sein wird. Eine derartige Einschränkung von Weltoffenheit und individueller Freiheit fördert keineswegs den sozialen Zusammenhalt. Es ist ein großes Missverständnis zu glauben, es gäbe in der Sozialpolitik Schnittmengen zwischen Rot und Blau. Das kann nur jemand behaupten, der von Sozialpolitik und den Nöten der Menschen keine Ahnung hat.
Die Republik, in die wir hineinzuschlittern drohen, stellt keinen Fortschritt dar. Sie wird uns zurückwerfen und isolieren. Ob wir schon die Koffer packen sollen, wie das Christian Rainer im Profil meint, das bezweifle ich. Vor allem ist es keine Lösung. Und auch nicht, darauf zu hoffen, dass es den anderen Parteien schlechter als der Sozialdemokratie geht.
Angesichts einer derartigen Situation hat man es als Sozialdemokrat nicht leicht. Ich weiß gar nicht, wie lang das schon her ist, dass ich jemanden getroffen habe, der (die) eine positive Perspektive für die Sozialdemokratie gesehen hat. Alles scheint im Niedergang. Seit einiger Zeit habe ich Jura Soyfers Roman „So starb eine Partei“ am Nachtkästchen liegen. Die Parallelen zu den 30er Jahren sind frappant.
Aber ist das Ende wirklich unausweichlich. Ja, wenn wir so weiter tun wie bisher.
Nein, wenn wir beginnen, die Blockaden der letzten 70 Jahre zu überwinden. Das Unausweichliche vermeiden, heißt eingefahrene politische Rituale aufbrechen, Parteigrenzen überwinden und sachliche Koalitionen bilden. Heißt die Interessen und Nöte der Menschen, auch der Unorganisierten wahrnehmen. Vor allem müssen wir bereit sein, unangenehme Probleme anzusprechen und Lösungen aufzuzeigen. Ganz wichtig der Mut, sich vom Mainstream abzusetzen, ganz besonders in der Wirtschaftspolitik.
Bruno Kreisky hatte diese Fähigkeit. In dem er seine Partei führte, gab er dem Land eine Richtung vor. Seine staatsmännische Leistung bestand darin, für Ideen und Projekte zu werben und die Menschen daran zu beteiligen. Man konnte ihm gleichsam beim Nachdenken folgen.
Die Menschen wollen Veränderungen. Aber sie wollen dabei ernst genommen werden und sie wollen mittun. Gute Politik ist die beste Voraussetzung der rechtspopulistischen Antipolitik Einhalt zu gebieten.
Noch ist es nicht zu spät. Schon gar nicht für die Sozialdemokratie.