Alle Vorurteile gegenüber der EU scheinen auf den ersten Blick bestätigt: Eine heimliche Zwangsprivatisierung der Wasserversorgung durch die EU erregt die Gemüter. Die Argumente der Gegner und Angstmacher wiegen schwer. Von Johannes Kübeck, Brüssel.
Ein Schreckgespenst geht wieder um in der EU und scheint alle Vorurteile gegen sie zu bestätigen. Brüssel wolle uns an den Wasserhahn, die Zwangsprivatisierung des Trinkwassers drohe, nach der Einheitsglühbirne komme der Einheitsduschkopf. Tatsächlich irritiert Einiges am Plan der Konzessionsrichtlinie des Kommissars für den EU-Binnenmarkt, Michel Barnier, über den heute der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments (EP) ein erstes Urteil fällt.
Öffentliche Stellen wie Gemeinden sollen die Vergabe von Dienstleistungen – wie eben die Wasserversorgung – dem allgemeinen Wettbewerb öffnen. „Jede Privatfirma soll sich überall um die Wasserversorgung bewerben können“, ist das Motto des französischen Kommissars. Allerdings hat Barnier den Plan schon entschärft. Jede Gemeinde soll weiter Wahlfreiheit haben, ob sie beim Wasser privatisiert oder nicht, betont Richard Seeber, EU-Abgeordneter der ÖVP. Trotzdem ist für seinen SPÖ-Kollegen Josef Weidenholzer die Gefahr nicht gebannt. Größere Kommunen sollen sich auf jeden Fall dem freien Wettbewerb öffnen müssen.
Das bringe immerhin Wachstum durch Wettbewerb, so das Credo der EU. Jedes Prozent mehr Wachstum in der kontinentalen Wasserwirtschaft bedeute 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze.
„Zwangsprivatisierung“
Es ist also kein Sturm im Wasserglas, sondern ein handfestes Vorhaben und überdies schon der zweite massive Versuch Brüssels, gewissermaßen Hand an die Wasserhähne der Bürger zu legen. Schon vor Jahren hatte Brüssel den EU-Skeptikern die Gelegenheit gegeben, sich gegen die „Zwangsprivatisierung des Wassers“ zu positionieren. Jetzt startet die EU also den zweiten Versuch, und wieder formieren sich die Gegner mit einschlägigen Argumenten.
Seeber, sozusagen ein großes Tier in der politischen Wasserwelt, ist unglücklich über den EU-Vorstoß. Der Tiroler gründete vor drei Jahren die sehr aktive Plattform „Intergruppe Wasser“, um die Bedeutung dieses Lebensquells überall in Europa zu verankern. Es gebe so viel Wichtigeres rund um das Thema Wasser zu tun als diese EU-Initiative. Zu wenige Europäer hätten Zugang zu sauberem Trinkwasser, nennt der Umweltsprecher der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament nur ein Beispiel.
Ärgerlich für wohlwollende Insider wie Seeber ist besonders, dass die Brüsseler Eurokraten bei dem Thema wieder in eine selbst gestellte Falle tappen. Es war zu erwarten, dass Barniers Vorstoß für eine Marktöffnung in diesem sensiblen Bereich wieder auf heftigen Widerstand stoßen wird. Denn Europa ist in der Wasserversorgung zweigeteilt. Länder wir Frankreich und Großbritannien setzen seit Langem auf Großlösungen, sie haben große Teile ihrer Wassernetze längst privatisiert und das Thema ist für die Normalbürger kein emotionales Anliegen. Hingegen ist die Wasserwirtschaft in Österreich oder Deutschland kleinteilig strukturiert, das Wasser ist damit in jeder Beziehung nah am Bürger und somit eine Art Herzensanliegen.
Und weil in Brüssel oft eine Hand nicht weiß, was die andere tut, heizte ein weiteres Papier das Thema zuletzt noch auf. Eine Expertengruppe will neben schlecht isolierenden Fenstern und stromfressenden Kabeln auch tropfenden Wasserhähnen und Duschköpfen zu Leibe rücken. Das weckte ungute Erinnerungen an die Zwangsbeglückung mit der Einheitsglühbirne. Alle, die wegen des Themas Wasser ohnehin schon alarmiert waren, begannen in der Folge politisch noch stärker zu rotieren.
In diesem Klima geht fast unter, dass der EU-Vorschlag gar keine öffentliche Stelle zwingt, die Wasserversorgung für die freie Wirtschaft zu öffnen. Wie Seeber betont, gefährde die Richtlinie die Entscheidungsfreiheit etwa der Gemeinden nicht, wie sie die Wasserversorgung gestalten wollen.
Dass alles nur ein Schlag ins Wasser sein soll, können geübte EU-Skeptiker aber nicht so recht glauben. Ihr Widerstand gegen die „Zwangsprivatisierung unseres Wassers“ hat erst begonnen.
Artikel auf  kleinzeitung.at