Herwig* war ein Österreicher, ein Landsmann von mir. Einer der Guten noch dazu. Als einen solchen habe ich ihn zunächst kennen und schätzen gelernt. Im Lauf der Jahre verlor unsere gemeinsame Herkunft für mich freilich immer mehr an Wichtigkeit. Herwig Kaiser, das war für mich vor allem ein Europäer, untadelig durch und durch, immer freundlich und lösungsorientiert. Einer von den Besten, den man hier in Brüssel antreffen konnte.
Herwig war einer von der Sorte, von denen man glaubt, dass sie immer da waren. Ich weiss nicht, wann ich ihn zum ersten Mal persönlich wahrgenommen habe. In einem kleinen Land wie Österreich kennt schnell jeder jeden. Immer gibt es gemeinsame Bekannte. So war das auch mit Herwig. Als wir das erstmal miteinander sprachen, da war es ein Leichtes für uns, sich anhand unserer gemeinsamen Bekannten zuhause zu verorten. Und um die Berge ging es auch. Das war lange vor meiner Zeit als Abgeordneter. Ich erinnere mich genau daran, nicht wegen der gemeinsamen Freunde, sondern, weil er damals im Fischereiausschuss arbeitete. Österreich und Fischerei, eine durchwegs gewagte Kooperation.
Für Herwig, den überzeugten Europäer war das allerdings nichts besonderes. Europa das war seine Leidenschaft. Europa, das waren seine Freunde und vor allem die sozialdemokratische Fraktion. Und Europa – so altmodisch dieses Wort auch klingen mag- wollte er dienen. Wo immer man ihn hinstellte. In den folgenden Jahren begegnete ich Herwig häufig, seit ich Abgeordneter wurde, fast täglich. Ich sehe ihn vor mir, im dritten Stock des EP, immer ein bisschen schneller, ein bisschen aufmerksamer und ein bisschen freundlicher als die anderen.
Herwig war beliebt und er wurde von vielen geschätzt. Er stand nicht im Licht der Öffentlichkeit, obwohl es für ihn als Schauspieler ein Leichtes gewesen wäre, eine solche Rolle zu spielen. Seine Leidenschaft war es, dafür zu sorgen, dass es diese große Bühne gab, ohne die Politik bekanntlich nicht funktioniert. Es gab und es gibt nicht viele, deren Leidenschaft darin besteht, vorbehaltlos im Gelingen des gemeinsamen Projekts aufzugehen. Schon gar nicht in der Politik. Herwig war ein ganz großer Sozialdemokrat. Vielleicht hätte es ihm gut getan, wenn er das öfter von uns gehört hätte. Es hätte ihn bestärkt und aufgebaut.
Herwig war stark, nicht weil er gepoltert oder auf den Tisch gehaut hat. Seine Stärke war die Sanftmut. Eine Eigenschaft, die gegenwärtig aus der Mode zu kommen scheint. Zu Unrecht. Gäbe es doch mehr von seinem Schlag, die Welt, Europa – man darf durchaus auch sagen die Fraktion – würden anders aussehen.
Herwig war aber auch ein schwacher Mensch. Vor allem dann, wenn man ihm zu viel aufbürdete. Eine seiner Schwächen war es, dass er nicht immer Nein sagen konnte, vor allem dann, wenn man sich an ihn, mit der Bitte um Hilfe wandte. Man konnte sicher sein, niemals abgewiesen zu werden.
Im Nachhinein habe ich mir oft gedacht, ob wir ihm nicht zu vieles zugemutet haben. Vieles möchte ich ihn heute fragen, vor allem möchte ich ihm sagen, was für ein großartiger Mensch er war. Und ich möchte es ihm coram publico sagen. Ich erinnere mich noch gut an diesen Tag, wo die gesamte Fraktion spontan zusammen eilte, geschockt und unendlich traurig darüber, dass Herwig aus dem Leben geschieden ist. Mitunter, wenn mich die Hektik des Alltags durch den dritten Stock treibt glaube ich Herwig zu sehen, so wie in den ganzen Jahren. Natürlich weiss ich, dass es ihn nicht mehr gibt, aber ich weiss, das es viele, sehr viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die sie so sind, wie er war.
Auf diese Menschen können wir vertrauen, gerade in Zeiten wo das Europäische Haus elementaren Stürmen ausgesetzt ist. Herwigs Vermächtnis sollte uns sein, ihnen mehr Wertschätzung entgegen zu bringen.
 
* Herwig Kaiser, geboren in Graz, seit 1995 im Europäischen Parlament tätig. Gestorben am 6 Dezember 2016, im Alter von 58 Jahren.