Zu manchen Ländern entwickelt man im Lauf des Lebens eine besondere Beziehung. Für mich ist Kambodscha ganz vorne. Das wurde mir wieder bewusst, als ich am Ende eines USA-Besuchs meinen Freund Daran Kravanh traf. Er lebt im kalifornischen Exil und kämpft für eine demokratische Zukunft seiner Heimat. Mit mäßigem Erfolg, aber mit großem Einsatz und dem Charme seiner Persönlichkeit. So wie damals, als er den „Killing Fields“ der Roten Khmer entkommen konnte, weil er ein begnadeter Musiker ist. Eigentlich hätte ich ihn in Phnom Penh treffen sollen, doch da war er sich seines Lebens nicht sicher.
Eine ganze Woche war ich unlängst in Kambodscha. Als Leiter einer Mission des Europäischen Parlaments. Unter meiner Leitung haben sieben Parlamentarier die prekäre Situation der Menschenrechte ins Visier genommen. Im Zentrum: systematische Behinderungen der Opposition und gezielte Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Die Korruption ist allgegenwärtig und die Unabhängigkeit der Justiz besteht oft nur am Papier. Der Spielraum von Gewerkschaften und NGOs wird neuerdings gezielt reduziert. Die Kommunalwahlen (2017) und die Parlamentswahlen (2018) werfen bereits jetzt ihre Schatten voraus. Erstmals seit dreißig Jahren könnte es zu einem Machtwechsel kommen. Die Regierenden sind nervös. Die Opposition, angeführt von Sam Rainsy und Khem Sokha ist voller Hoffnung. Berechtigt. Sie ist in der Lage die Menschen zu mobilisieren, vor allem dank der sozialen Medien.

Kambodschanische Oppositionsführer

Sam Rainsy und Joe Weidenholzer am Linzer Hauptbahnhof.

Kambodscha beschäftigt mich seit dem Ende des Vietnamkriegs. Als die Roten Khmer, eine ideologisch verblendete Terrorgang die Macht übernahmen. Die Nachricht von deren systematischem Morden hatte mich damals schwer verunsichert. Alles was als dekadent und bürgerlich galt oder dem Willen der neuen Machthaber, eine neue Gesellschaft aus dem Boden zu stampfen, im Wege stand, wurde ermordet. Nach fünf Jahren Schreckensherrschaft waren das  zwei Millionen Menschen, mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Unvorstellbar war für mich damals auch, dass es in meinem linken Umfeld viele gab, die diese Verbrechen tolerierten, sie entschuldigten oder gar als notwendig betrachteten. Ich habe mich damals gefragt, ob der Terror der Khmer Rouge den Sozialismus zu seiner Unkenntlichkeit verzerrt oder zu seiner Kenntlichkeit gebracht hat. Für mich war bald klar, dass diese Vorgänge mit einem linken Weltbild unvereinbar sind. Ohne Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte kann es keine gerechte Gesellschaft geben. Basta.

In meiner Heimat Oberösterreich gibt es eine große kambodschanische Community. Über 2000, den Gräueltaten der Khmer Rouge entkommene Menschen leben heute hier. Bestens integriert und natürlich nach wie vor an den Vorgängen in Kambodscha interessiert. Der Kontakt zu ihnen bedeutet mir viel. Wir haben gemeinsame Kampagnen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der kambodschanischen Textilindustrie durchgeführt und uns für die Opposition eingesetzt. Hier habe ich auch Sam Rainsy, seine Frau Tioulong Saumura und Khem Sokha kennengelernt. Im letzten EU-Wahlkampf wurde ich von der kambodschanischen Community mit großer Begeisterung unterstützt.

Mönch

Mit der kambodschanischen Community in Wels.

Auch deshalb setze ich mich im Europaparlament immer wieder für Kambodscha ein. Mit dringlichen Resolutionen im Plenum oder im Menschenrechtsausschuss. Kambodscha hat sich erstaunlich entwickelt. Alle, die das Leid auf den „Killing Fields“ er-und überlebten, hätten sich das niemals vorstellen können. Das Land gehört zu den „Emerging Economies“ und verändert sich rasant. Sogar die notorisch hohe Armut nimmt erstmals ab. War vor zehn Jahren noch die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsschwelle, so sind das gegenwärtig nur mehr 20 %.  Zukunft scheint möglich. Erstmals seit Langem. Hun Sen, der schillernde, seit Jahrzehnten im Amt befindliche Machthaber beansprucht, dieses kleine Wirtschaftswunder herbeigeführt zu haben. Von Selbstzweifeln ist er nicht geplagt. Der historischen Wahrheit näher kommt die Feststellung, dass er klug genug war, den Aufschwung zuzulassen. So wie in der Nachkriegszeit damals bei uns war die Tüchtigkeit und der Optimismus der einfachen Menschen ausschlaggebend. Hun Sen hat weniger Fehler gemacht, als Putin, Erdogan, Alijew oder Orbán. So wie diese ist er von wirtschaftlichen Interessen getrieben. Wirtschaft heißt in diesem Zusammenhang in erster Linie Optimierung persönlichen Reichtums. Die Korruption ist allgegenwärtig und zersetzt alle Bemühungen rechtsstaatliche Bedingungen aufrechtzuerhalten. Klientelismus sorgt für Abhängigkeit und sichert den Machterhalt. Alles, was nicht dieser Primitivlogik entspricht und sich auf die Verwirklichung von Grundwerten beruft, wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Solidarität, wird als gefährlich eingestuft: NGOs und Gewerkschaften, unabhängige Medien und vor allem die Opposition.

Ziel unserer Mission war es, mit Nachdruck die kambodschanische Seite an ihre Zusicherungen zu erinnern: demokratische Wahlen zu ermöglichen, Rede und Pressefreiheit zuzulassen und den Spielraum für NGOs und Gewerkschaften zu garantieren. Wir haben diese Anliegen gegenüber dem Parlament, dem Justiz – und Innenministerium vorgetragen. Nicht unbedingt zum Wohlgefallen unserer Gesprächspartner. Zumeist fielen die Reaktionen ausweichend, mitunter auch unwirsch aus. Aber die Botschaft ist angekommen. Wenn Kambodscha gute Beziehungen zur EU will, dann muss es bereit sein, unsere Anliegen ernst zunehmen. Gute Beziehungen zu Europa rentieren sich. Die EU ist der bedeutendste Handelspartner des Landes und der bei Weitem wichtigste Faktor für die Entwicklungshilfe. Vor allem die Textilindustrie könnte davon profitieren, ethisch einwandfreie Produkte am europäischen Markt anzubieten. Es ist gut zu wissen, dass die Europäische Union kein zahnloser Tiger ist und tatsächlich vieles bewegen kann. Nicht nur in Kambodscha. Und es tut gut, wenn man in der Lage ist, einiges von dem gut zu machen, woran die eigene Generation nicht unschuldig ist. Ja, das ist vielleicht die Lehre meines politischen Lebens. Wer immer behauptet, man dürfe die Demokratie zugunsten anderer Ziele außer Kraft setzen, der irrt fundamental. Möge das Ziel noch so hehr sein. Jedes Abweichen von Demokratie und Menschenrechten öffnet das Tor zur Barbarei. Deshalb sollten wir uns in Europa nicht selbstzufrieden zurücklehnen und mit dem Finger auf andere zeigen. Wir haben nur dann eine Berechtigung andere zu kritisieren, wenn wir diese Ansprüche auch auf uns anwenden. Und da gibt es bei uns genug zu tun.
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