„Wir haben euch nicht zugehört.“ Ein SPÖ-Politiker schreibt über den Niedergang seiner Partei und sagt, was Österreichs Sozialdemokratie jetzt ändern muss. Gastbeitrag von Josef Weidenholzer auf ZEIT online.
Als ich am Tag nach der Bundespräsidentenwahl zum Zug ging, wehte mir ein eisiger Wind entgegen. Und Schnee lag auf den Wiesen. Mitten im Frühling. So als wollte mir die Natur mit allem Nachdruck klarmachen, was mich die ganze Nacht schlecht schlafen ließ. Seit der Wahl ist es kalt geworden in Österreich. Sehr kalt. Das Land ist aus dem Modus der Berechenbarkeit gekippt. Völlig überraschend hat FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, ein Far Right Gun Enthusiast (wie ihn der konservative britische Telegraph bezeichnet), die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewonnen. So klar, dass ein Sieg bei der Stichwahl am 22. Mai sehr wahrscheinlich ist.
Die „Basiswappler“
Die vom Wahlvolk gerade abgestraften Großparteien treffen Richtungsentscheidungen oder personelle Weichenstellungen traditionell in kleinen Zirkeln. Meist geht es um persönliche Befindlichkeiten und das immer wieder kurzfristig auszutarierende Machtgleichgewicht in Partei und Koalition. Längerfristiges steht kaum einmal zur Disposition. Irgendwann fällt das sorgsam austarierte Machtgefüge in sich zusammen, so wie bei den Politbüros im ehemaligen Ostblock. Implosion nennt man das. Einen solchen Moment erleben wir gerade. Auch in meiner Partei, der SPÖ.
Seit ich mich erinnern kann, werden von den eigentlich entscheidungsbefugten Gremien wie Parteivorstand oder Parteitag keine richtungsweisenden Beschlüsse gefasst. Es wird abgesegnet, was vorher in informellen Politbüros entschieden und über die Boulevardpresse bereits verlautbart worden ist. Und alle machen mit, um anschließend ihren Unmut hinter vorgehaltener Hand zu artikulieren, so wie beim letzten Richtungsschwenk in der Asylpolitik, einer 180-Grad-Volte.
Für alle, die die Sozialdemokratie schon im Reich der Toten wähnen, mag es paradox klingen, aber an der Basis der österreichischen Sozialdemokratie gibt es nach wie vor viele lösungsorientierte und diskursfähige Menschen, darunter auffallend viele junge Menschen und Frauen. Mehr jedenfalls als in anderen Parteien. Jede Firma würde ein solches Potenzial hegen. In der SPÖ aber tendiert man dazu, darin einen Störfaktor zu sehen. Wie abgehoben und zynisch muss man sein, wenn einem für diese Menschen bloß das böse Wort „Basiswappler“ einfällt. Wie groß muss die Geringschätzung dieses Potenzials sein, wenn man glaubt, bei der Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms darauf verzichten zu können.
Facebook & Co. überlässt die SPÖ den Rechtspopulisten
Eine Partei, noch dazu eine sozialdemokratische, lebt vom freiwilligen Engagement und der Bereitschaft der Menschen, sich konstruktiv einzubringen. Diese Menschen sind ihr Kapital und nicht der fragwürdige Applaus durch auflagenstarke Zeitungen. Weil dieser erkauft und meist nicht einmal das viele Geld wert ist. Die Basis braucht kein Geld, sie will Respekt und Anerkennung. Sich auf Diskussionen, auch auf kontroverse einzulassen, ist ein Zeichen von Stärke. Dadurch entsteht Geschlossenheit. Freiwillig und nicht von oben erzwungen. Alle erfolgreichen sozialen Bewegungen funktionieren nach diesem Muster. Bruno Kreisky hatte diese Fähigkeit. Seine staatsmännische Leistung bestand darin, für Ideen und Projekte zu werben und die Menschen daran zu beteiligen. Man konnte ihm gleichsam beim Nachdenken folgen. Im Gegensatz zur Gründungszeit der Sozialdemokratie gibt es dank der Digitalisierung heute ungeahnte Möglichkeiten, Beteiligung und Meinungsaustausch zu organisieren. Doch Facebook & Co. hat die SPÖ verschlafen. Das überlässt sie lieber den Rechtspopulisten.
Wir haben uns auf die Meinungsforscher verlassen
Wir müssen mit den vom Rechtspopulismus Infizierten reden. Der größte Feind der Linken ist die weitverbreitete Selbstgerechtigkeit. Sie ist gefährlich, weil sie die anderen bloß in ihrer Abwehrhaltung bestärkt. Wir sollten uns endlich abgewöhnen, die Rechtschreib- und Grammatikfehler der Rechten wichtiger zu nehmen als die dahinterstehenden Inhalte. Ja, die Auseinandersetzung muss inhaltlich geführt werden. Seit längerer Zeit gibt es nur mehr einen Abtausch von Totschlagargumenten. Sicher stimmt, dass der Rechten jegliches Maß abhanden gekommen ist, dass sie die Wirklichkeit dramaturgisch verzerrt und offenen Hass propagiert. Übel kann einem dabei werden.
Gesprächsverweigerung ist aber keine Lösung. Es geht um das kritische Gespräch mit den Verführten, nicht ums Nachplappern. Wer glaubt, den rechten Verführern nacheifern zu müssen, gräbt ihnen nicht das Wasser ab. Vielmehr ermöglicht er diesen, den gesellschaftlichen Diskurs zu dominieren. Das Spielen mit Koalitionsoptionen („Warum nicht Rot-Blau„) macht lediglich die eigene Sprachlosigkeit sichtbar. Bevor man sich mit den Verführern ins Bett legt, sollte man sich um die Verführten Gedanken machen. Ein ehrlich gemeintes konstruktives Gespräch setzt die Bereitschaft zur Selbstkritik voraus. In Österreich ist diese wenig ausgeprägt. Vor allem in Momenten von Wahlniederlagen. Da wird Geschlossenheit angemahnt. Gerade jetzt aber warten die Wähler auf ein „Ja, wir haben eure Botschaft verstanden“. Etwa: „Wir haben euch nicht zugehört. Wir haben uns auf die Meinungsforscher verlassen. Obwohl wir es hätten wissen müssen, dass auf sie kein Verlass ist und dass sie nur Momentaufnahmen abbilden.“
Welche Demokratie wollen wir haben?
Die Wähler wollen, dass wir uns der Probleme annehmen, in aller Offenheit, Alternativen bedenken und nicht oberflächlich und symbolisch arbeiten. Sie wären erstaunt, zu hören: „Wir haben uns wichtiger genommen, als wir eigentlich sind. Uns ging es nicht um das Gesamtinteresse, um das Gemeinwohl. Wir wollten primär unsere Macht absichern, in Eisenstadt, in St. Pölten oder in Linz. Das Hemd liegt uns näher als der Rock. Daher war uns die Republik nicht so wichtig und schon gar nicht Europa.“ Diese Ehrlichkeit würden die Menschen schätzen und ihr Zorn wäre vielleicht nicht so gewaltig. Und wäre es nicht auch angebracht einzugestehen, dass man sich selber auf ein hohes Ross gehievt hat, mithilfe von Medien, die man dafür bezahlt hat. Deren Reaktion freilich nicht die erwartete Dankbarkeit war, sondern Hohn und Geringschätzung.
Unabhängige Medien sind die Voraussetzung für politische Erneuerung. Diese ist dringend notwendig. Wenn das die demokratischen Kräfte nicht machen, dann werden es andere tun, so wie das in Ungarn passiert ist. Das kann sehr schnell gehen. Es würde Österreich für Jahrzehnte von Kerneuropa entfernen. Österreich im Club der Illiberalen, das ist durchaus möglich. Im Club der Grenzzieher und Mauerbauer sind wir ja schon Mitglied, was vor einem Jahr auch niemand geglaubt hätte. Die Grundrechtscharta und die Menschenrechtskonvention stellen keinen Ballast dar, wie das in den letzten Monaten suggeriert wurde. Daher brauchen wir eine breite Diskussion über die Zukunft der Demokratie in unserem Land. Das neue Österreich muss ein unmissverständlicher Teil des europäischen Selbstverständnisses sein.

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