Heute vor 50 Jahren habe ich den ganzen Tag Friedrich Smetanas symphonische Dichtung „Die Moldau“ gehört. Sehr zum Ärger meiner Eltern. Eigentlich hätte ich mein Jugendzimmer ausmalen müssen. Aber das war mein bescheidener Betrag zur Unterstützung des tschechoslowakischen Widerstandes gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts. Niemand hatte damit gerechnet. Die Menschen waren fassungslos. Tausende säumten die Strassen, mit Tränen in den Augen, manche versuchten Widerstand zu leisten, mit den sowjetischen Soldaten zu diskutieren. Aber es war vergeblich.

Viele tschechische Sender spielten den ganzen Tag Smetanas Moldau, die tschechische Schicksalssymphonie. Das war der Grund für meinen stillen Protest. Ich wollte dabei sein. Ich weiss nicht mehr, wie oft die Platte damals gespielt habe. Kein Musikstück kenne ich besser. Wenn ich es heute mitunter höre, sehe ich Alexander Dubcek vor mir. Seinen traurigen Gesichtsausdruck, so als wollte er seine ganze Verzweiflung über sein historisches Scheitern mitteilen. Einen Sozialismus mit menschlichem Gesicht hatten er und seine Mitstreiter gewollt.

Das hatte mich als 18-jährigen, der gerade den Sozialismus für sich entdeckt hatte, fasziniert. 1968, das war für mich Paris, Berlin und Prag. Ich bezweifle, ob ich damals alles begriffen habe. Aber irgendwie ahnte ich, dass es mit der westlichen Linken nichts werden kann, wenn sie den Osten außer Acht lässt. Sehen wir ja heute, wohin das geführt hat. Unsere Nachbarn hätten sich mehr Aufmerksamkeit und Respekt verdient. Gerade in den Jahren nach dem Einmarsch. Die Mehrheit unserer tschechischen Nachbarn wollte sich nicht damit abfinden und hat sich auf subtile Weise widersetzt. Den wenigsten ist bewußt, dass es einige Jahre gedauert hat, bis der Widerstand wirklich gebrochen war. Österreich war eine wichtige Anlaufstelle, die wichtigste vielleicht.

So selbstverständlich war das freilich nicht. Hatte es doch der VP-Bundeskanzler Klaus mit dem Hinweis auf die österreichische Neutralität nicht fertig gebracht, die Intervention zu verurteilen. Ein anderer mutiger Landsmann, der damalige Aussenminister Waldheim, hatte sogar das Personal der Prager Botschaft angewiesen, die Schutz und Hilfe suchenden Menschen höflich hinauszukomplimentieren. Wäre da nicht Botschafter Kirchschläger gewesen, der sich kühn darüber hinwegsetzte und anordnete, jedem der es brauchte, ein Visum auszustellen. 50 000 sollten es am Ende werden. Heute würde der aufgehetzte Mob in den sozialen Medien über ihn herfallen und ihn als „Gutmenschen“ und „Hyperhumanisten“ attackieren. Bruno Kreisky machte diesen menschlichen Diplomaten zum Aussenminister. Später schlug ihn die  SPÖ zum Bundespräsidenten vor. Obwohl er kein Sozialdemokrat war.

Daran denke ich auch heute. Und daran, dass die SPÖ damals zur stärksten Partei wurde, weil sie sie sich nicht ängstlich zurückhielt, sondern die Zusammenarbeit mit positiv handelnden Personen suchte.

Und ich denke auch daran, dass heute auf dem Prager Hradschin ein tschechischer Präsident sitzt, der aus Rücksichtnahme auf Moskau mit fadenscheinigen Begründungen erklärt, warum er keine offizielle Rede aus Anlass des 50.Jahrestages halten will.

Und so bleibt mir keine andere Wahl, als dass ich auch heute Bed?ich Smetana höre. Diesmal aus Protest gegen einen Präsidenten, der sein Volk im Stich lässt. Und mit der Entschlossenheit, mich mehr für die Entwicklungen bei unserem nördlichen Nachbarn zu interessieren.