Vier Tage war ich jetzt in Kurdistan. Anstrengende und erlebnisreiche Tage. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen Ana Gomes, Cornelia Ernst und Marietje Schaake.
Wir wollten uns aus erster Hand über die Lage in der Region um Erbil im Norden des Irak informieren. Eine Region, die unmittelbar an jene Gebiete angrenzt, die vom Daisch/ISIS terrorisiert wird. Die Autonome Region Kurdistan ist gleichsam der Außenposten jener Welt, für die die Menschenrechte konstitutiv sind. Hier bekommt der abgenutzte und so oft missbrauchte Begriff der Freien Welt plötzlich eine elementare Bedeutung.
Weil hier unsere Freiheit verteidigt wird. Die Schergen der IS haben das etwa 30 km entfernte Mossul um Jahrhunderte zurückversetzt. So, als hätte es nie eine Erklärung der Menschenrechte, eine Haager Kriegskonvention oder die Aufhebung der Sklaverei gegeben. Eine verrückt gewordene Truppe von ideologisch verblendeten Extremisten setzt sich über alles hinweg, was die Menschheit an zivilisatorischem Fortschritt erreicht hat.
Wir haben mit vielen Menschen gesprochen. Nicht nur aus der Politik, sondern auch mit Vertriebenen und Flüchtlingen. Vieles bekomme ich einfach nicht aus dem Kopf. Etwa die Gespräche mit jungen Frauen und Mädchen, die von ISIS gekidnappt worden waren und ihren Peinigern entkommen konnten. Sie wurden regelrecht versklavt, verkauft wie Tiere, von ihren „Eigentümern“ misshandelt und vergewaltigt. Manche waren kaum älter als zehn Jahre. Sie mussten entsetzliches mitmachen und werden wohl ihr ganzes Leben darunter leiden. Und dennoch geht es diesen ca. 250 Frauen besser als den über 5000 noch immer ihrer Freiheit beraubten Frauen und Mädchen. Sie befinden sich in der Gewalt von Menschen, denen es an Menschlichkeit mangelt. In Syrien, in den Golfstaaten, in Saudi-Arabien, ja, in Pakistan. So haben es uns die Frauen erzählt und hilfesuchend auf ihren Handys Fotos ihrer Leidensgenossinnen gezeigt.
Männer haben uns berichtet, wie im August vergangenen Jahres IS Kämpfer deren Dörfer umzingelten, sie nach Geschlecht und Altersgruppen selektierten und dann liquidierten. So wie das die Nazis in Oradour, in Lidice oder anderswo gemacht haben. Eine grausame Bilanz. Am meisten leiden die Angehörigen der jezidischen Glaubensgemeinschaft. An ihnen wurde ein regelrechter Genozid verübt.
In ihrem Wahn zerstört die IS alles, was ihrer simplen Weltsicht entgegensteht. Die christlichen Gemeinschaften, die seit jeher in dieser Gegend heimisch waren, werden vertrieben und ausgelöscht. Zum ersten Mal konnte heuer in Mossul nicht Weihnachten gefeiert werden. Viele Christen befürchten, dass in den nächsten Jahren ihre zweitausendjährige Geschichte zu Ende gehen wird. Die meisten wollen nur weg von hier.
Und die Lage wird von Tag zu Tag bedrohlicher. Allein in Kurdistan kommen zusätzlich zu den 5 Mio. Einwohnern 1.8 Mio. Vertriebene (sogenannte IDPs) und 200.000 syrische Flüchtlinge. Die Regionalregierung sieht sich zunehmend außerstande, damit fertig zu werden.
Die Solidarität in der einheimischen Bevölkerung ist überwältigend. Ohne ihre großherzige Unterstützung wäre es nicht möglich, diese Herausforderung zu meistern. Deshalb müssen wir den Menschen in den von ISIS bedrohten Regionen helfen. Indem wir ihnen Aufmerksamkeit schenken, ihren Kampf unterstützen und materielle Hilfe zukommen lassen.