Es scheint Ruhe einzukehren auf den Finanzmärkten. Zumindest vorübergehend. Eine Zwischenbilanz zeigt: Konfus und von Vorurteilen getrieben, versuchten Europas verantwortliche Politikerinnen und Politiker den Krisenbrand zu löschen, für den sie selbst mitverantwortlich waren, weil sie in ihrem naiven Vertrauen auf die Selbstregulierungskräfte der Märkte, vorher die „firewalls“ beseitigt hatten. Um die Situation in den Griff zu bekommen, setzten sie schwere Munition ein, die „Dicke Bertha“ oder die „Bazooka“ und „fluteten“ den Kapitalmarkt. In der berechtigten Angst, dass der griechische Brand auf andere Länder übergreift, griffen sie zu Wasserwerfern und zerstörten das griechische Haus bis auf seine Grundfesten. Diese Strategie könnte tatsächlich aufgegangen sein und die Gefahr eines finanzpolitischen Flächenbrandes scheint fürs nächste gebannt.
Krise lösen?
Also, Ende gut- alles gut? Nein. Man hätte die Krise mit Sicherheit schneller lösen können. Nicht in zwei Jahren, sondern in zwei Monaten. Dies war nicht möglich, weil das bestimmende politische Personal (in der EU und in den meisten Mitgliedsstaaten) weder über das nötige theoretische Wissen noch über den politischen Willen verfügte, für ein europäisches Problem, eine europäische Lösung zu versuchen. Innenpolitische Rücksichtnahme verstellte den Blick für die historischen Notwendigkeiten. Merkel torkelte von Landtagswahl zu Landtagswahl. Am Ende gab es zwar eine Lösung, aber sie ist der Ausdruck der in Europa grassierenden Kleingeisterei. Konservativ durch und durch erschöpft sie sich in der Flucht vor staatlicher Verantwortung, verlässt sich ängstlich auf die Selbstregulierungskraft der Märkte und kennt nur ein einziges Mittel: Sparen. Dieser Austeritätsfetischismus ist gefährlich. Er ruiniert Volkswirtschaften nachhaltig, gerade jetzt am Beispiel Griechenlands zu studieren. Er zerstört aber auch die demokratischen Grundlagen der einzelnen Nationalstaaten. Um der heimischen Wählerschaft willen, deren Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge sich auf die Informationen von Boulevard Medien und selbsterklärten Experten bezieht, werden souveräne Staaten so behandelt, als wären sie deutsche Bundesländer. Was für Deutschland, genauer für seine Meinungsführer und Meinungsführerinnen gut ist, das wird doch auch von den anderen zu verlangen sein. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ hieß es ehedem. Diese verhängnisvolle Losung hört man immer öfter. Gepaart mit dem ebenfalls populären „Wer zahlt, schafft an!“ ist sie wie Sprengstoff und geeignet, das europäische Projekt schwer zu beschädigen.
„Deutsches Europa“ oder „Europäisches Deutschland“?
Ein „deutsches Europa“, von dem neuerdings immer häufiger die Rede ist, ist etwas anderes als ein „europäisches Deutschland“. Und es ist bezeichnend, dass die Fiskalunion, die primär die deutsche Wählerschaft beruhigen soll, außerhalb der europäischen Verträge konzipiert ist. Neben die bisherige EU wurde gleichsam eine zweite EU gesetzt, die weitgehend der Mitsprache des Europäischen Parlaments entzogen ist. Dafür haben der Europäische Gerichtshof und die Europäische Kommission sehr wohl Relevanz. Dem Austeritätsdogma zuliebe nimmt man bewusst eine Schwächung der Demokratie in Kauf.
Für ein starkes Parlament!
Martin Schulz hat in seiner Antrittsrede als Präsident des Europäischen Parlaments diesen Tendenzen, „den Kampf angesagt“: „Das Ergebnis einer parlamentarisch unzureichend legitimierten Politik wird von den Bürgern als Diktat aus Brüssel empfunden. Den Preis dafür bezahlt die EU als Ganzes: … Und dem wird das Europäische Parlament nicht tatenlos zuschauen!“. Es ist wichtig, dass sich gerade ein deutscher Parlamentspräsident so klar und deutlich zu einem demokratischen und gemeinschaftlichen Europa bekennt.
Populistische Stammtischkategorien
Sonst müsste man tatsächlich verzweifeln. Man braucht ja nur dem Stichwortgeber der bundesdeutschen Finanzpolitik, Hans-Werner Sinn zuhören, der gegenwärtig die Öffentlichkeit mit seiner skurillen „Target 2“-Argumentation verwirrt und verunsichert. Damit wird er genau so wenig rechtbehalten wie damals vor fünf Jahren, als er behauptete, Deutschland wäre kein Exportland mehr. Wie er freilich seine Argumente begründet, das wird leider nachhaltigen Schaden verursachen. Seine Argumentation stützt sich vornehmlich auf populistische Stammtischkategorien. Die Gefahren gehen nämlich von den „lateineuropäischen Ländern“, „vom mediterranen Lebensstandard“ oder von den „immer neue Partys feiernden …. Südländern“ aus. Die deutschen Rentner müssten daher um ihre Alterssicherung bangen (- fast so als ob es keine Finanzspekulation gegeben hätte). Diese Töne sind zumindest in der Intensität, mit der sie öffentlich vorgebracht werden, neu. Dass dieser Bocksgesang in den nächsten Monaten anschwellen wird und am Ende vielleicht etwas ähnliches passieren wird, was sich vor einer Generation in Jugoslawien zugetragen hat kann befürchtet werden. Das muss verhindert werden, denn Europa ist zu wichtig, um es zerfallen zu lassen.