Auf diesen Tag habe ich mich schon lange gefreut. Zu Ehren Stefan Zweigs – dieses Großen des 20. Jahrhunderts – wird im Europäischen Parlament ein Gebäude benannt. Ich fühle mich geehrt, dass ich dazu beitragen konnte. Viele haben dazu beigetragen. Uns allen war dabei immer bewusst, dass wir etwas Überfälliges und Selbstverständliches tun, ja tun müssen. Im Europäischen Parlament endlich einen zu ehren, der schon zu Zeiten, in denen dies unerreichbar schien, mit Herz und Seele von der Idee eines gemeinsamen Europas ergriffen war und auch in Momenten, wo dies gefährlich wurde, nicht davon abgelassen hatte. Unbeirrbar wie ein Prophet, mit einer geradezu spirituellen Hingabe.

Hier, im Haus der europäischen Demokratie hat der große Schriftsteller nun endlich seinen Platz gefunden. Das ist umso bemerkenswerter, als wir uns bislang bei der Benennung von Gebäuden und Räumen eher an Politikern orientiert haben. So, als wären es ausschließlich wir gewesen, die Wichtiges für Europa zustande gebracht hätten. Etwas abgehoben halt, wie das ja nicht ganz zu Unrecht der politischen Klasse immer vorgeworfen wird. Was wir heute tun, ist ein wichtiges Zeichen, gerade in Zeiten, wo das europäische Projekt wieder in Gefahr zu geraten scheint. Zweig war kein Politiker, dafür fehlte ihm der Antrieb, aber er war ein zutiefst politischer Mensch. Einer, dem nichts verborgen blieb und der von einer unbändigen Neugierde getrieben war, rastlos und vorurteilsfrei.

Seine großbürgerliche Herkunft machte ihn nicht stumpf oder abgehoben und sein Interesse galt auch nicht primär den Haupt- und Staatsaktionen. Es waren die Details, die Schwächen und Skurrilitäten, die seine Aufmerksamkeit erregten. Und sein Glauben an den menschengemachten Fortschritt. Stefan Zweig war ein Optimist mit einem gewissen Hang zur Melancholie. Das hätte ihn eigentlich dazu prädestiniert seinen Lebensmittelpunkt in Wien zu suchen. Es wurde Salzburg. Zum Zeitpunkt, als er sich dort niederließ, ein verschlafenes Nest, nicht gerade ein Hort der Intellektualität und der Weltoffenheit. Interessant ist seine retrospektive Begründung. In die „Welt von Gestern“ schreibt er, dass es ihm die geographische Lage angetan habe: „Ein richtiger Abstoßpunkt nach Europa“.

Ja, Stefan Zweig war ein Österreicher, durch und durch. Aber man hat ihm das nicht leicht gemacht. Früh erahnte er die zerstörerische Kraft des Antisemitismus. Schon 1922 hatte der Schriftsteller Hugo Bettauer einen – damals noch satirisch gedachten (Zukunfts) Roman über Wien verfasst: Die Stadt ohne Juden. Das alles sollte bald passieren. Als Jude Österreicher zu sein, dieses Recht wurde in zunehmendem Maße von der Mehrheitsbevölkerung verwehrt. Heute ist das „Stefan Zweig“- Bild in Österreich zurechtgeglättet. Alle sind stolz auf ihn. Aber es bleibt ein Verbrechen, was mein Land seinen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern angetan hat. Für immer und ewig. Diese heutige Feier ist daher ein klares Bekenntnis gegen den, leider noch immer nicht überwundenen, Antisemitismus.

Stefan Zweig war ein großer Europäer und ein bekennender Österreicher. Aber er war kein Sozialdemokrat. Wen immer es verwundert, dass ausgerechnet unsere politische Familie diese Benennung betrieben hat, der soll wissen, uns geht es um die universellen, gemeinsamen Prinzipien. Und da ist er uns Vorbild.

Zweig hatte eine respektvolle Beziehung zu uns, war aber weder Mitglied noch Sympathisant. Sogar diese indifferente Nichtbeteiligung reichte aus, dass die austrofaschistische Polizei ihn zum geheimen Sozialdemokraten machte. Sie verdächtigte ihn, Waffen des Republikanischen Schutzbundes zu verstecken und ordnete eine Hausdurchsuchung an. Dieser absurde Willkürakt erschreckte ihn so sehr, dass er nach zwei Tagen Österreich verließ und niemals wiederkehrte. Er fand Asyl im Vereinigten Königreich, dessen Staatsbürgerschaft er nach langem Zögern viele Jahre später erhielt. Wenn man sich mit geschichtlichen Vorgängen beschäftigt, sollte man niemals fragen, was wäre wenn… Ich stelle sie trotzdem.

Was würde der große aus Österreich „abgestoßene“ Europäer mit britischem Pass, heute wohl fühlen, an dem Tag, an dem in Großbritannien eine wahrhaft historische Entscheidung fallen wird. Ich weiß es nicht, weil wir das Ergebnis noch nicht kennen. Aber seine Antwort würde wohl melancholisch sein.

Auf jeden Fall würde er sich freuen, dass es das Europäische Parlament gibt und dass das nach ihm benannte Gebäude in Brüssel steht, der Stadt in der er zum ersten Mal Émile Verhaeren begegnete, alles nicht weit weg von Ostende, jener Stadt in der er sich zweimal 1914 und 1936 geistig auf das Unvermeidliche einstimmte, indem er Freunde suchte, dagegen anzukämpfen. Lassen Sie mich die letzten Zeilen aus „Die Welt von Gestern“ zitieren:

…“jeder Schatten ist im letzten doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles, Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt.“

Stefan Zweig