Wer kennt das nicht, dieses Gefühl. Tagelang bin ich jetzt faul am Strand herumgelegen, hab mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und mein Urlaubsbuch, die Olof Palme Biographie von Henrik Berggren ausgelesen. Ein paar wunderbare Tage, die Körper und Geist gut tun.
Irgendwann aber stellt sich die Unternehmungslust ein. Nichts wie weg vom Strand! Wozu sind wir schließlich in Kreta? Wo ich bis dato noch nicht gewesen bin. Mit dem Mietauto das Land erkunden – as usual.

Nach ein paar Kilometern, ganz in der Nähe von Menschen aus allen Teilen Europas Menschen überlaufener Badestrände, ein Hinweisschild: „Deutscher Soldatenfriedhof.“ Kindheitserinnerungen werden wach. Mein Vater und seine Freunde, wenn sie über den Krieg gesprochen haben, über „den Russen“, die „hinterhältigen Partisanen“ und über den sagenhaften Heldenmut der die Wehrmacht auszeichnete. Immer wieder dieselben Geschichten und das mit dem Alkoholpegel anschwellende Selbstmitleid.
Wie habe ich das gehasst. „Kreta“ war ein wiederkehrender Fixpunkt dieser kollektiven Versuche, sich die Geschichte, die der Generation meines Vaters ja gleichzeitig die besten Jahre gestohlen hatte, zurecht zu reden: der Mut und der Kampfgeist der deutschen Fallschirmjäger und wenn alle so gewesen wären und durchgehalten hätten.
Der Soldatenfriedhof von Maleme auf dem 4465 ehemalige Wehrmachtsangehörige ihre letzte Ruhestätte gefunden haben zeigt ein anderes Bild. Nicht von Helden ist die Rede, sondern von Versöhnung und Frieden.
Eine würdige Stätte des Gedenkens am Schauplatz eines der heftigsten und blutigsten Gefechte dieses fürchterlichen Krieges. In einer atemberaubend schönen Lage, Meerblick inklusive, liegen sie die Helden der Generation meines Vaters. In Doppelgräbern, paarweise so wie Touristen nicht unweit unter ihren Sonnenschirmen, ganz egalitär, Offiziere neben einfachen Soldaten, ohne Rangunterschied. Auf die Gegend von Maleme hatte sich die erfolgreiche Luftlandeoperation der Wehrmacht auf Kreta vom 20.Mai bis 1.Juni 1941 konzentriert. Der Blutzoll war enorm, 3700 Deutsche und über 1500 Angehörige der Streitkräfte des Commonwealth.
Die darauf folgende deutsche Besatzung, die bis zur Kapitulation währen sollte, stieß von der ersten Stunde an auf erbitterten Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Schon im Mai 1941 verfügte der deutsche Befehlshaber diesen mit allen Mitteln zu brechen, durch Erschiessen von Freischärlern, Kontributionen, Niederbrennen von Ortschaften und “ Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete“.
Am Nachhauseweg passierten wir die Ortschaft Kandanos, wo ein Denkmal daran erinnert, dass damals der Ort dem Erdboden gleich gemacht worden war. 8000 Einheimische fielen dem Nazi Terror zum Opfer.
Zurück am Strand ließ mich die Vergangenheit nicht wirklich zur Ruhe kommen. Ich stellte mir vor, wie das gewesen sein mag, an diesem Ort, wo heutzutage tausende Erholungsuchende relaxen. Als tausende Fallschirmspringer vom Himmel sprangen oder eher herunter fielen. Der Gefechtslärm, die Toten. Vom Blut junger, in der Blüte ihres Lebens stehender Männer getränkter Sandstrand.
Ich fragte mich, ob nur ich das weiss. Wissen es die anderen? Nein! Ich wollte es den neben mir auf ihren Sonnenliegen den Tag geniessenden Menschen mitteilen. Aber sollten Sie das wirklich alles wissen? Sie haben sich ihren Urlaub redlich verdient. Eine Gegend ist schön, auch wenn dort schreckliche Dinge passiert sind. Darum genügt es auch, wenn zumindest einige davon wissen.
Aber es sollten vielleicht alle wissen, was einen Franzosen aus Toulouse an dem Tag, als wir den Soldatenfriedhof besuchten, bewog, in das Besucherbuch der Gedenkstätte in deutscher Sprache zu schreiben: Es lebe Europa!