Gestern war ein wunderschöner Tag. Endlich einmal im Garten. Familie und gute Laune. Bis die Hochrechnungen aus der Steiermark auftauchten.
Ich erinnere mich an einen ebensolchen Tag im Garten. Ein Septembernachmittag. Die Kinder waren noch klein. Die Nachrichten kamen noch nicht aus dem I-Phone, sondern ganz klassisch aus dem Radio. Immer zur vollen Stunde. Jörg Haider hatte sich beim Sonderparteitag in Innsbruck an die Spitze der FPÖ geputscht.
Fast dreißig Jahre ist das her. Damals wurde der Geist der Verdrehung aus der Flasche gelassen. Und es ist nie wieder gelungen, ihn einzufangen. Mein ganzes aktives politisches Leben nicht. Meine Kinder sind damit aufgewachsen. Mit dem frustrierenden Erlebnis, das man Erfolg damit haben kann, wenn man die Dinge vorsätzlich verdreht und alles Fremde und Andersartige heruntermacht.
Österreich, ein großartiges und traditionell weltoffenes Land ist zum Experimentierfeld des Rechtspopulismus geworden. Ist quasi in einem „immerwährenden österreichischen Albtraum“ gefangen.
Es gab einige Momente, wo ich den Eindruck hatte, nun wäre der Spuk vorbei. Nach dem Parteitag von Knittelfeld und der darauf folgenden Niederlage der FPÖ, nach der Abspaltung des BZÖ, nach dem Tod Jörg Haiders, nach Bekanntwerden des größten Kriminalfalls der 2.Republik rund um die Hypo Alpe Adria oder mit dem Auftauchen Frank Stronachs.
Aber es war wie bei Krake Hydra. Kaum war ein Kopf abgeschlagen wuchs ein anderer nach. Deswegen habe ich es aufgegeben, auf das Ende des Albtraums zu hoffen, wenn einer dieser regelmäßig wiederkehrenden Momente auftaucht.
Entlarvung der Verdrehungspolitik
Es gab drei Hauptstrategien der Eindämmung des Rechtspopulismus. Alle erwiesen sich als ungenügend. Weder funktionierte es, sich relaxt zurückzulehnen und das Problem totzuschweigen in der Hoffnung, das Ganze werde sich von selbst erledigen. Noch klappte der Versuch der Hereinnahme in die Regierungsverantwortung. An den Folgen wird noch unsere Enkelgeneration leiden. Besonders fatal erwies sich die Strategie, sich bestimmte Elemente des Rechtspopulismus, anzueignen, in der Hoffnung diesem so das Wasser abzugraben.
Das Gegenteil war der Fall, so wie jetzt wieder in der Steiermark und im Burgenland. Weil das ganze unreflektierte Gerede von Integrationsunwilligkeit und Bedrohung der Sicherheit lediglich die Akzeptanz der rechtspopulistischen Verdrehungen verstärkte. Öl ins Feuer gießen nennt man so etwas.
Das Wahlergebnis dieses Sonntags markiert eine historische Zäsur. So wie 1986 der Innsbrucker Parteitag. Man mag einwenden, es handle sich bloß um einen kontinuierlich wiederkehrenden Moment des österreichischen Albtraums. Wir müssten uns halt irgendwie daran gewöhnen. Am Ende würde sich ja doch alles einrenken und nichts Schlimmes passieren.
Diesmal liegen die Dinge aber anders. Europa war noch nie so instabil, die Zentrifugalkräfte setzen dem europäischen Projekt immer mehr zu. Der Geist des Rechtspopulismus hat sich überall breitgemacht. Teilweise in bedrohlichem Ausmaß, wenn wir etwa an Ungarn denken.
Nicht zuletzt war die Botschaft der steirischen FPÖ, in einem bisher nicht bekanntem Maß, radikal und hetzerisch.
Die Menschen haben diesmal sehr wohl gewusst, was sie wählen. Das lässt sich nicht mehr einzig und allein als Protestwahl erklären. Es waren die Inhalte, die zu diesem Ergebnis geführt haben.
Wir müssen endlich aufwachen und beginnen, den Kampf mit der Hydra zu führen.
Natürlich gibt es regionale Ursachen, die regional angegangen werden müssen. Mir geht es hier um die österreichische und darüber hinaus die europäische Perspektive.
Das benötigt Zeit und Geduld. Was sich über Jahrzehnte verfestigt hat, das lässt sich nicht mit einem einzigen Kraftakt beseitigen.
Parallelen zu den 30er Jahren
Und es wird auch nicht reichen, das Phänomen nur auf der symbolischen Ebene des Antifaschismus zu bekämpfen. Vieles am modernen Rechtspopulismus verzichtet vordergründig auf historische Fundierung. Geschichte wiederholt sich eben nicht als Kopie des Vergangenen.
Wir müssen uns allerdings der historischen Konstellation bewusst werden. Diese ähnelt sehr wohl jener der 1930er Jahre. Eine falsche als alternativlos definierte Austeritätspolitik, führt zu sozialen Verwerfungen. Immer mehr Menschen haben das berechtigte Gefühl, dass die Politik sich nicht um sie kümmert. Neidgefühle werden geschürt und Sündenböcke definiert.
Auf einer solchen Basis entsteht gleichsam eine neue politische Tagesordnung. Diese hat zwar nicht mehr viel mit der eigentlichen Realität zu tun. Die Forderungen der rechtspopulistischen Parteien beziehen sich denn dann auch nur auf diese konstruierte Realität. Ein interessantes Phänomen in diesem Zusammenhang ist, dass Fremdenhass dort am größten ist, wo keine Fremden sind und gefühlte Unsicherheit sich vor allem in Gegenden mit niedrigen Kriminalitätsraten breitmacht. Auch am gestrigen Wahlsonntag ließen sich sowohl in der Steiermark als auch im Burgenland solche Phänomene beobachten.
Hier gilt es anzusetzen. Am eigentlichen Kern des Problems, dass der Rechtspopulismus unter den beschriebenen Gegebenheiten eine systematische Verdrehungspolitik betreibt. Die Entlarvung dieser Verdrehungspolitik ist daher die wichtigste Aufgabe.
Allerdings dürfen wir die Menschen mit der richtigen Erkenntnis der Probleme nicht allein lassen. Politik bedeutet, über unterschiedliche Lösungsansätze entscheiden zu können. Rechtspopulisten sind im Regelfall nicht an konstruktiven Lösungen interessiert. Ihre Welt ist eine konstruierte Welt.
Auch der für den fatalen Austeritätskurs verantwortliche Neoliberalismus tut sich damit schwer. Sein Dogma der Alternativlosigkeit beruht auf einer blinden, fast religiösen Marktgläubigkeit.
Von beidem hatten wir zu viel in Österreich und in Europa.
Eine für die Menschen attraktive Politik muss in der Lage sein, Angebote für die Lösung der realen Probleme zu formulieren. Sie muss wertschätzend und plausibel sein. Wenn ich (vermeintliche oder tatsächliche) Opfer bringen soll und gleichzeitig den Verlust meines Arbeitsplatzes befürchten muss, dann werde ich mit Recht an der Politik verzweifeln.
Ein dritter wesentlicher Punkt besteht darin, dass Menschen an der Politik beteiligt sein wollen. Niemand will, dass über ihren/seinen Kopf hinweg entschieden wird. Die meisten Menschen wollen gefragt werden und sie wollen beteiligt sein. Diesen Zusammenhang hat die „Reformkoalition“ in der Steiermark nicht verstanden. Das ist einer der Gründe, warum das Verdikt der Wählerinnen und Wähler so deutlich ausgefallen ist.
Dem immer stärker werdenden Rechtspopulismus wird man nur dann wirklich Herr werden, wenn man ihm die Maske vom Gesicht reißt, und eine an den wirklichen Problemen der Menschen ansetzende Politik betreibt, an der sich die Menschen auch beteiligen können und die daher dann auch ihre Politik ist.
In diese Richtung müssen wir gehen. Leicht gesagt. Aber eigentlich wissen wir das ja eh alle. Angehen müssten wir es halt. Viel Zeit ist nicht mehr.