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Big Bang Bangalore

Alles ist neu am Flughafen von Bangalore, der südindischen IT-Hochburg. Wo noch vor zwei Jahren perfektes Chaos den Ablauf bestimmte, herrscht jetzt Übersichtlichkeit. Das ist nicht nur auf die großzügige Architektur des neuen Gebäudes zurückzuführen: Veränderung liegt in der Luft.
In der Cafeteria werden zur nachmitternächtlich – frühmorgendlichen Stunde Sandwiches und westliche Softdrinks präferiert. Indische Geschäftsreisende beiderlei Geschlechts warten auf ihre Morgenflüge, nach Mumbai, Dehli,Chennai oder Kolkata.
Wäre deren Teint nicht so verräterisch dann würde man sich beinahe au irgendeinem westeuropäischen Flughafen wähnen. Dieselbe Markenkleidung, dieselben Gadgets wie i-phone und Macbook, die gleiche oberflächlich zur Schau gestellte coolness, die die in die der Luft liegende Hektik gekonnt zügelt. Den einzigen Unterschied macht das niedrigere Durchschnittsalter aus.
Eine neue, den Gesetzen des Marktes unterworfene Elite macht sich jeden Morgen auf den Weg, um Indien unwiderruflich zu verändern und es in eine globale Wirtschaftsmacht zu verwandeln. Noch sind des wenige und das Straßenbild abseits der Flughäfen entspricht noch den hergebrachten Klischees. Wahrscheinlich wird sich das schnell ändern. Der indische Mittelstand, eine kaufkräftige und kaufwütige Schicht macht mittlerweile mehr als 250 Millionen aus.
Wie heißt es bei Altmeister Marx: “Das Sein bestimmt das Bewusstsein”.
Bild von stuartlhart.com

2010 – Ein wichtiges, ein entscheidendes Jahr

2010 markiert nicht nur den Beginn eines neuen Jahrzehnts, es ist auch das erste Jahr nach der Großen Krise. Geht es nach den Prognosen vieler Wirtschaftsforscher, dann sind wir aus dem Gröbsten heraußen. Ob man jenen Glauben schenken sollte, deren Jahresprognosen vor zwei Jahren in keiner Weise den großen Krach erahnen ließen, sei dahin gestellt.
Aber auch wenn es wirklich besser wird, was wir alle nur hoffen können, kann die Krise noch als keineswegs bewältigt gesehen werden.
Nicht nur die „Realwirtschaft“ –welch absurder Begriff eigentlich – wird noch eine Zeitlang an den Folgen der Finanzspekulationen zu würgen haben. Vor allem müssen die riesigen Summen, die für die Stabilisierung der Finanzmärkte zur Verfügung gestellt wurden, von den Staatshaushalten bewältigt werden. Die Konsolidierung der Budgets wird nicht ohne politische Auswirkungen abgehen. Es wird viele Verlierer geben und wenn sich nicht gravierendes an den gegenwärtigen politischen Prämissen ändert, dann werden wohl die breiten Massen die Zeche bezahlen. Jedem Gerechtigkeitsempfinden Hohn sprechend und die Legitimität des politischen Systems ernsthaft gefährdend.
Die politischen Konsequenzen der Krise werden uns noch lange nicht loslassen. So wie in den 1930-er Jahren sind es auch gegenwärtig wieder verantwortungslose Demagogen, die diese Situation schamlos ausnutzen und das demokratische System destabilisieren.
Gegenwehr ist wenig vorhanden, die demokratischen Kräfte sind mit dem Management der Krisenfolgen beschäftigt und die Sozialdemokratie, eigentlich müsste sie ja als Reformalternative wahrgenommen werden befindet sich in einer epochalen Krise.
Nichts wäre jetzt wichtiger für die weitere Entwicklung des demokratischen Zusammenlebens als eine Konsolidierung und Erneuerung der demokratischen Linken. Gäbe es die Sozialdemokratie nicht, dann müsste man sie gerade jetzt neu erfinden.
Es ist zu befürchten, dass das kommende Jahr (noch) nicht diese notwendige Erneuerung bringen wird. Der Druck ist noch zu gering, um eine Richtungsänderung herbeizuführen.
Aber vielleicht sollten wir, die wir nicht einfach nur zusehen wollen, zumindest beherzigen was Willy Brandt in seinen Erinnerungen als Lehre aus dem

„Scheitern derer, die zusahen, wie die Republik von Weimar scheiterte“ zog: „ Wo die Zivilcourage keine Heimstatt hat, reicht die Freiheit nicht weit. Und wo die Freiheit nicht beizeiten verteidigt wird, ist sie nur um den Preis schrecklich großer Opfer zurückzugewinnen.“

Ambivalenzen

Eine Episode aus dem EU-Wahlkampf beschäftigt mich unentwegt. Vielleicht, weil da auch ein Schlüssel zur politischen Lösung der “Ausländer-Problematik” liegt.
Ich hatte, so wie wir es immer hielten, wenn es die Zeit erlaubte, meinen Infotisch vor dem Sitz der SP Oberösterreich in der Landstrasse 36 aufgestellt. Und – as usual – gab es rege Diskussionen mit PassantInnen. Ein älterer Herr aus dem Linzer Franckviertel verwickelte mich in eine intensive und emotional geführte Diskussion über den Fall Arigona. Er äußerte sich ziemlich ausfällig über die Familie Zogaj, die den Rechtsstaat erpressen würde, und auch über die seiner Meinung nach “unverständliche” Haltung der Volkshilfe, die Familie zu unterstützen.
Unser Diskurs zog sich eine Weile dahin und wurde auch von den Umstehenden mitverfolgt. Eine Frau machte mich leicht ungeduldig darauf aufmerksam, dass da noch jemand mit mir reden möchte. Ich ersuchte meinen Gesprächspartner, das Gespräch unterbrechen zu dürfen. Er stellte sich zur Seite. Ein etwa vierzigjähriger Mann bosnischer Herkunft erklärte in einwandfreiem Deutsch und emotional sehr erregt, dass er demnächst abgeschoben würde, obwohl er schon viele Jahre in Österreich lebt und arbeitet. Händeringend bat er mich: “Bitte, bitte helfen Sie mir!”
Mein Publikum war betroffen. In die Stille hinein meldete sich jener Herr, der mir gerade vorhin erklärt hatte, wie sehr in Österreich “die Ausländer” bevorzugt würden und meinte ganz vehement: “Diesem Mann muss geholfen werden, macht’s doch was!”
So knapp liegen die Dinge oft beinander. Was ist dieser Mann nun? Ein Ausländerfeind, ein Opportunist oder gar ein verkappter “Gutmensch”? Mit Sicherheit ist er ein potentieller Wähler der Rechtsparteien. Ist er aber auch ein unverbesserlicher Rechter?
Ein Zerissener ist er auf jeden Fall und auch ein Unzufriedener, der vielfach enttäuscht wurde und der nicht weiß, was die Zukunft bringen wird. Er ist einem Trommelfeuer von Vereinfachungen und Schuldzuweisungen ausgesetzt. Er lebt in einer von den Rechten konstruierten Stimmungswolke einer imaginären Volksgemeinschaft, die konsequent und systematisch Realitäten ignoriert.
Die Realität öffnet die Augen, so lehrt unser Beispiel. Warum sprechen wir die Realitäten nicht an, warum schwindeln wir uns an den klaren Antworten vorbei?

Der rote (braune) Faden

Ich konnte im Laufe meiner Wahlkampagne mit unendlich vielen Menschen reden. Viele interessante Gespräche werden mir in Erinnerung bleiben.
Es gehört aber auch zu den bleibenden Eindrücken mit welcher Vehemenz und Eindringlichkeit ausländerfeindliche Auffassungen vertreten wurden. Das waren keine Einzelmeinungen, vielmehr zog sich dieses Thema wie ein roter (brauner) Faden durch die meisten Diskussionen. Es waren auch nicht die typischen Krakeeler, sondern „biedere“, auf den ersten Eindruck liebenswerte Zeitgenossen. Die Geschlechterverteilung spielte dabei überhaupt keine Rolle.
Solche Gespräche folgten zumeist einem bestimmten Ablauf. Nach einer Einleitung à la „Ich bin wirklich nicht ausländerfeindlich, aber…..“ oder „Bei mir im Haus wohnt auch eine Ausländerfamilie (oft mit dem Zusatz aus Kroatien oder Ex-Jugoslawien), das sind wirklich anständige Menschen…“ folgte zumeist die lapidare Feststellung, dass das nicht mehr auszuhalten wäre mit den Ausländern: zu viele, zu laut, zu aggressiv, einseitig bevorzugt durch den Sozialstaat.
Manche ließen sich auf inhaltliche Diskussionen ein und oft konnten Missverständnisse ausgeräumt werden. Viele aber blieben hartnäckig bei ihren vorgefassten Meinungen. Auf die Frage, was sie denn von „der Politik“ erwarten würden, zumeist ein lapidares „Ihr müsst was dagegen tun!“ oder ein „Lasst uns nicht allein!“. Oft und oft habe ich dann versucht, meine GesprächspartnerInnen zu ersuchen, diese Forderung zu konkretisieren. Zumeist war dies nicht möglich: außer „Weniger Zuzug“, „Grenzen dichtmachen“ „Weg damit, wenn einer straffällig wird“ oder die Forderung nach eigenen Ausländerklassen.
Einige ließen sich darauf ein, durchzuspielen, was dies alles – abgesehen vom menschlichen Leid – bedeuten würde: Wie unsere Wirtschaft dastehen würde, wer unseren Sozialstaat finanzieren sollte etc.
Ein Passant mittleren Alters, mit dem ich eine halbe Stunde diskutiert hatte, meinte am Ende des Gesprächs lapidar: „Sie haben ja Recht, aber ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung.“

Fighting for a cause

Inmitten des ganzen Trubels, ob die Sozialdemokratie nun das fünfte Mandat schafft oder nicht und ich in das Europäische Parlament einziehen kann, hatte ich endlich Gelegenheit, meinen Freund Anand, Professor am Institute for Global Studies an der Jawa Nehru Universität (New Dehli) zu treffen.
Er hielt sich gemeinsam mit seiner Frau Manju zu einer Gastvorlesung an meinem Institut an der JKU auf und war schon am Wochenende angereist. Entgegen der üblichen Gewohnheit fand ich keine Zeit die beiden zu treffen, da mich die Wahlkampfhektik und der Wahltag vollständig in Beschlag genommen hatten.
Anand und Manju verbrachten das Wochenende auf sich alleine gestellt, unterstützt von einer hilfsbereiten jungen Kollegin und es war nicht schwer für die beiden, etwas von meinem Wahlkampf mitzubekommen.
Als ich Anand am Dienstag endlich traf, da zeigte er sich sehr beeindruckt und meinte, als Soziologe könne man sich nur wünschen, so breite Aufmerksamkeit zu bekommen, um seine Ideen präsentieren zu können: “Du hast jetzt zu sehr viel mehr Menschen Zugang als bisher. Das ist ein wichtiges Ergebnis deiner Kampagne, nutze diese Chance.”
Als dann am Dienstagabend das von mir schon erwartete Ergebnis klar wurde und das Mandat endgültig an die Grünen ging (Gratulation an Eva Lichtenberger, der ich den Einzug ins EP von Herzen gönne), da konnte ich meine momentane Enttäuschung nicht wirklich verbergen. Anand merkte das natürlich und meinte sehr nachdrücklich: “You are fighting for a cause, not for a job”.
Danke Anand! So will ich es halten. Ich werde mich künftig in regelmäßigen Abständen, zunächst ausgehend von den vielen beeindruckenden Begegnungen während des Wahlkampfes, zu meinem Leibthema “Soziales Europa” zu Wort melden.
Mehr denn je bin ich überzeugt, dass wir Europa brauchen. Die großen Fragen der globalisierten Ökonomie lassen sich nur lösen, wenn Europa gemeinsam auftritt und mit einer Stimme spricht. Zu behaupten, kleine Nationen wie Österreich könnten die Lebensbedingungen ihrer BewohnerInnen befriedigend gestalten, wären sie nur auf sich allein gestellt, ist purer Unfug und dient lediglich der Rechtfertigung von kurzfristigen Machtgelüsten populistischer Volksverhetzer.
Wir brauchen keine neue Grenzen in unseren Köpfen, wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa. Allerdings brauchen wir ein anderes Europa. Ein Europa, das mehr ist als die Vollendung des Binnenmarktes. Ein Europa der sozialen Verantwortung, das seinen BürgerInnen Rechte eingesteht und Bedingungen schafft, diese auch in Anspruch nehmen zu können.