Artikel von unwatched.org am 27. März 2012
Fluggerät mit Turbine im Sonnenaufgang
Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments hat sich in einer Abstimmung am Dienstag für das umstrittene Fluggastdatenabkommen mit den USA ausgesprochen. Mit 31 Stimmen zu 23 (bei einer Enthaltung) stimmten die Abgeordneten damit der weitgehenden Überwachung europäischer Reisender durch die US-Behörden zu.
Ein weiterer Tiefschlag für die zahlreichen Kritiker des Abkommens, nachdem Anfang des Monats bereits der Außenausschuss Ja zum Abkommen gesagt hatte (unwatchedberichtete). Denn ist das Ergebnis des zuständigen Fachausschusses nicht zwar nicht bindend, aber oftmals richtungweisend für die darauf folgende endgültige Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments.
Zahlreiche Kritik an der Entscheidung …
Die Entscheidung sei nicht nachvollziehbar, so Alexander Sander von der Initiative NoPNR in einer ersten Reaktion. Das Abkommen verstoße offensichtlich gegen geltendes Recht und erfülle nicht einmal die eigenen Forderungen des EU-Parlaments.
Ähnlich meldete sich der fraktionsfreie EU-Abgeordnete MartinEhrenhauser und Unterstützer der Initiative NoPNR.org zu Wort: „Das Abkommen stellt sämtliche Flugreisende in die USA unter Generalverdacht. Es verstößt offensichtlich gegen geltendes Recht.“ Mit der Zustimmung werfe das EU-Parlament die eigenen Forderungen über Board, so Ehrenhauser. „Zentral war etwa bei der Datenweitergabe das Umstellen vom Pull-Verfahren auf das Push-Verfahren. Geblieben ist ein unverhältnismäßiges Selbstbedienungsrecht für US-Behörden.“
Auch Jan-Philipp Albrecht (D), Justizsprecher der Grünen im EU-Parlament, kritisiert die Entscheidung scharf, weil das Abkommen in etlichen Punkten (lange Speicherdauer, Nutzung der Daten für Profilingzwecke) im Widerspruch zu europäischen Grundrechten steht. Das Europäische Parlament könne diese Problembereiche, die es selbst kritisiert hat, nicht einfach ignorieren. „Eine Mehrheit der Abgeordneten will ihre Hände offenbar in Unschuld waschen“, kritisiert Albrecht. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. „Wir hoffen, dass die Entscheidung bei der Plenarabstimmung im April aufgehoben wird und wir das Abkommen noch stoppen.“
EU-Abgeordneter Josef Weidenholzer (SPÖ) bemängelt, „dass die USA die Daten nicht nur bei Terrorismus, sondern generell bei Delikten ab drei Jahren Strafrahmen heranziehen können. Hierbei gilt aber der US-Strafrahmen, der teilweise drastisch höher angesetzt ist als in Europa. Urlaubsreisende laufen so Gefahr, Justiz- und Kontrollinstanzen wechselseitig ausgeliefert zu sein“.
Entscheidend sei auch, dass der Rechtsschutz für EU-Bürger in den USA weder europäischen Standards entspricht. Zudem haben EU-Bürger nicht denselben gerichtlichen Anspruch auf Rechtsbehelf wie US-Amerikaner.
… nur Konservative glauben an das Gute
Nur Hubert Pirker (ÖVP) glaubt daran, dass die Daten über EU-Bürger nur für die Bekämpfung von Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität verwendet werden und die US-Behörden „die Daten nicht einfach beziehen, wann und wie sie wollen“. „Europäische Bürger genießen durch das Abkommen mehr Reisekomfort, mehr Rechtssicherheit und wesentlich mehr Datenschutz als ohne Abkommen“, gibt sich Pirker überzeugt. Eine jüngst vorgestellte Studie beweist allerdings das Gegenteil.
Kampagne „Schreibe Deinen Abgeordneten“ läuft weiter
Alle (mit Ausnahme der Konservativen) wollen sich nun dafür einsetzen, bis zur endgültigen Abstimmung im Plenum – vermutlich am 20. April – eine Mehrheit gegen das PNR-Abkommen zu gewinnen. Kein leichtes Unterfangen, denn die Mehrzahl der konservativen Abgeordneten ist für die Überwachungsmaßnahme. Grüne, Liberale und etliche fraktionslose Parlamentarier sind dagegen. Das Abkommen steht und fällt somit mit den Stimmen der Sozialdemokraten. Vor die Wahl zwischen dem Schutz der Grundrechte oder dem Ausbau von Überwachungsmaßnahmen gestellt, haben sich diese in der Vergangenheit aber zumeist für letzteres entschieden (z.B. Vorratsdatenspeicherung, Bankdatenweitergabe an die USA etc.). Auch Josef Weidenholzer zeigte sich empört, dass etwa die britischen KollegInnen von der Labour Party im Innenausschuss pro PNR gestimmt hätten.
Um die Wackelkandidaten noch umzustimmen, ruft die InitiativeNoPNR gemeinsam mit VIBE!AT und der Digitalen Gesellschaftweiterhin dazu auf, Abgeordnete zu kontaktieren: “Wir müssen weiterhin Überzeugungsarbeit leisten. Der beste Weg ist daher, direkt mit den Entscheidungsträgern zu sprechen und sie davon zu überzeugen, gegen diese Überwachungswut zu stimmen.”
Hintergrund:
Die Fluggastdaten, sogenannte Passenger Name Records (PNR), enthalten sehr weitgehende und teils recht sensible Informationen über die Reisenden, wie etwa Name, Wohnadresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, verfügbare Zieladressen und -Telefonnummern, Zahlungsmodus und Kreditkarteninformationen, eventuelle Mitreisende, Flugzeiten, Buchungsklasse, verfügbare Vielflieger- und Bonusdaten, eventuelle Sitzplatzpräferenzen, Wünsche zur Verpflegung, Name der Buchungsagentur/des Reisebüros, Sachbearbeiter der Buchung, Hotel- und Mietwagenbuchungen, Beziehungen zu Mitreisenden und dergleichen mehr. Ein PNR-Datensatz enthält in Summe rund 60 Angaben aus 19 verschiedenen Kategorien.
Diese Informationen sollen den US-Behörden künftig für verschiedenste Zwecke – wie zum Profiling und zur Erstellung von No-Fly-Listen – Verfügung stehen und praktisch unbegrenzt gespeichert und sogar an Dritte weitergegeben werden dürfen. Die Möglichkeiten für EU-Bürger, Rechtsmittel zu ergreifen, bestehen lediglich auf dem Papier.