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Zurück an den Start – Gedanken über die Zukunft der Sozialdemokratie ?

Beitrag für die Festschrift zum 60 Geburtstag von Bürgermeister Franz Dobusch
Die Finanzkrise des Jahres 2008 wird die Welt grundlegend verändern.

In ihrer historischen Wertigkeit ist sie jener der 1930er Jahre vergleichbar. Noch wissen wir nicht, ob wir das große Beben schon hinter uns haben. Allerdings wissen wir über die Kollateralschäden, die freilich nicht aufs Konto der Verursacher, die außer Rand und Band geratenen Finanzmärkte, gehen. Auch wenn sich die “Realwirtschaft” erholen sollte, wie es zu Beginn des Jahres 2011 den Anschein hat, so sind die sozialpsychologischen und politischen Konsequenzen deutlich erkennbar und nur mit klugem und beherztem Gegensteuern abzuwenden.

Ein Gefühl der Hilflosigkeit macht sich bei vielen Menschen breit. Sie sind enttäuscht, fühlen sich benachteiligt und verraten. Zukunftsängste verstellen den Blick nach vorne. Neidgefühle zersetzen den sozialen Zusammenhalt und Minderheiten müssen als Sündenböcke herhalten. Der zunehmende Gebrauch biologistischer Erklärungsmuster – jüngst aufgebrochen in der Sarrazin-Debatte – wie etwa über die genetische Ausstattung einzelner Ethnien (“Die Türken”) oder die Vererbbarkeit sozialer Merkmale (“Die Unterschicht”) unterhöhlt die Bedeutung einer an der allgemeinen Gleichheit aller Menschen ausgerichteten Leitvorstellung, welche bis dato politischer Grundkonsens war.

Die Finanzkrise hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die durch die neoliberale Revolution des ausgehenden 20. Jahrhunderts bereits brüchig gewordenen Leitideen, welche das Nachkriegseuropa geprägt und geformt haben, christdemokratischer Konservatismus und sozialdemokratische Linke, in eine Sinnkrise geraten sind. Der Liberalismus hat sich schon wegen seiner neoliberalen Mutation erledigt.

Ohne Orientierungsrahmen ist die Demokratie verloren
Die gegenwärtige Situation ist durch einen Mangel an allgemein akzeptierten und politisch wirksamen Leitvorstellungen gekennzeichnet. In dieses gefährliche Vakuum stößt die Neue Rechte, die, sich die Ohnmachtsgefühle vieler Enttäuschter zunutze machend, auf irrationale und antidemokratische Deutungsmuster zurückgreift und dabei den Griff in die historische Mottenkiste nicht scheut. Die Krise lässt die Menschen mit diesem per se krisenhaften Deutungsangebot alleine.
In vielen europäischen Ländern – Deutschland ist hier glücklicherweise (noch) eine Ausnahme – sind derartige Bewegungen auf dem Vormarsch. Die etablierten Parteien sind einem ständigen Erosionsprozess ausgesetzt.
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Schluss mit Catenaccio!

Seit einigen Monaten verfestigt sich allen Meinungsumfragen zufolge ein Besorgnis erregender Trend: Die österreichische Parteienlandschaft wird sich wohl künftig endgültig verändern. Die Zeiten sind vorbei, wo zwei Großparteien dominierten. Gallup prognostiziert akkurat am Tag der Arbeit folgende Stimmverteilung:
27 Prozent SP, 26 FP, 21VP, 16 Grüne, 6 BZÖ.
Strache auf dem Weg zum Kanzler, das ist die Botschaft dieser Tage. Was vor einem Jahr noch als Scherz gegolten hätte das wird mittlerweile schon als unausweichlich hingenommen. Niemanden regen derartige Perspektiven offenkundig noch wirklich auf.
Die einstigen Großparteien, von denen man eigentlich eine Position erwarten würde, üben sich im taktisch motivierten Totschweigen und schaffen so ein Vakuum, in dem der Populist sich frei und ungehemmt bewegen kann.
Sich Totstellen, nur ja keine Konturen zeigen, es allen recht machen, unangenehme Entscheidungen vor sich herschieben, Probleme klein reden und auf Zeit setzen sind Methoden aus dem Repertoire politischen Taktierens, das sich vorrangig am Ziel des Machterhalts orientiert. Immer danach ausgerichtet, über die Runden zu kommen, die Konstellationen des Augenblicks zu beherrschen. Klein-klein eben.
Im Fußball würde man das Catenaccio nennen, eine von vornherein defensiv angelegte Spieltaktik, die sich auf knappe Spielstände und Unentschieden versteht und deren häufigstes Ergebnis ein 0:0 ist.
Catenaccio kann durchaus zum Erfolg führen. Im italienischen Fußball gibt es genügend Beispiele dafür. Es hat allerdings einen großen Nachteil. Das Publikum ist davon nur mäßig begeistert. Es will Angriffslust, Schwung, große Aktionen und vor allem Tore.
Viele empfinden die österreichische Politik noch schlimmer als Catenaccio, weil sie nicht nur defensiv angelegt ist, sondern sich die Spieler auch noch gegenseitig behindern und eifersüchtig darauf bedacht sind, dass niemand zu gut ist.
Seit vielen Jahren geht nicht viel weiter in der österreichischen Politik. Seit 1986 müht sich eine Große Koalition von Rot und Schwarz, das Land zu verwalten. Lediglich der Beitritt zur Europäischen Union war ein zukunftsorientierter Schritt.
Der Ausbruch aus der Partnerschaft, lang geplant von Wolfgang Schüssel, endete in im Fiasko von Schwarz-Blau, an dessen Folgen das Land immer noch leidet. Seit 2007 spielen die früheren Partner wieder Catenaccio. Immer mehr zum Leidwesen des Publikums. Wen interessiert schon, wenn eine Mannschaft nur mehr daran interessiert ist, den Ball zu halten oder ihn, wenn Gefahr droht, aus dem Spielfeld schießt. Die Menschen wollen sehen, wie um den Ball gekämpft wird. Jüngst wiederum geschehen in der sogenannten Ausländerfrage. Ein Thema, wo der defensive Stil der beiden (noch) Großparteien nur eins bewirkt hat: die FPÖ stark zu machen, indem ihr das ganze Spielfeld überlassen wurde.
Die Rot-Weiß-Rot Card, eine längst überfällige Maßnahme, hätte die Chance für einen politischen Befreiungsschlag in dieser causa prima der österreichischen Politik eröffnet. Man hätte zeigen können, wie man sich eine vernünftige Einwanderungspolitik vorstellt, wie sehr das eigentlich eine win-win-Situation wäre, und damit die ganze Sache auf eine weniger angstbeladene Ebene bringen können.
Nein, ganz im Sinne der geschilderten Spielweise verschärfte man, mögliche Angriffe der Rechtspopulisten abwehrend, das im Grunde vernünftige Gesetz, verlangte den Nachweis von Deutschkenntnissen bereits vor der Einreise, verschärfte (wiederum einmal) Bestimmungen für AsylwerberInnen und setzte der (scheidenden) Innenministerin zuliebe Anhaltebestimmungen durch, für die keine sachliche Notwendigkeit bestand. Damit erreichte man freilich nur eines: Man überließ den angreifenden Rechtspopulisten das ganze Spielfeld und verärgerte alle, die an einer Lösung der Probleme interessiert sind.
Es ist höchste Zeit, mit dem destruktivem Catenaccio aufzuhören und endlich ein Spiel aufzuziehen, das nach vorne, aufs Tor gerichtet ist. Faymanns Forderung am 1.Mai, die Banken stärker in die Verpflichtung zu nehmen, weist in die richtige Richtung. Allerdings macht bekanntlich eine Schwalbe noch keinen Sommer.

Neues aus der kleinen Welt

Es gibt Interessantes und Aufregendes, oft Unerfreuliches zu beobachten in diesen Tagen und Wochen: Die endgültige Entlarvung einer blinden Technikgläubigkeit am Beispiel der atomaren Katastrophe in Japan. Die gewaltige Kraft des Freiheitsstrebens in den arabischen Nachbarstaaten Europas und der Zynismus, wie damit umgegangen wird. Oder die Unfähigkeit Europas, mit den außer Rand und Band geratenen Finanzmärkten fertig zu werden. Schließlich die zivilisatorische Katastrophe, die sich bei unseren ungarischen Nachbarn anbahnt. In Österreich beeilt sich der Bundespräsident, zwei Jahre vor den Nationalratswahlen, zu versichern, er müsse keinesfalls Strache als Bundeskanzler angeloben.
In unserer kleinen oberösterreichischen Welt ticken die Uhren glücklicherweise noch anders. Kaum zurückgekehrt von seinem Ausflug in die große Welt – wo er der Wahrnehmung der oberösterreichischen Landeskorrespondenz nach in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz mit dem deutschen Bundespräsidenten zusammentraf, von diesem allerdings protokollgemäß als Landeshauptmann Oberösterreichs empfangen wurde – setzt Landeshauptmann Josef Pühringer schon den nächsten Schritt als Kämpfer für die regionalen Interessen.
Bei einer Pressekonferenz präsentierte er am Gründonnerstag die Ergebnisse einer Studie, die das Land anlässlich 150 Jahr -Jubiläums des Februarpatents, mit dem Oberösterreich erstmals einen gewählten Landtag erhalten hatte, beim Meinungsforschungsinstitut IMAS in Auftrag gegeben hatte. Nicht ganz unerwartet stellte sich heraus, dass die Oberösterreicher dem „Wiener Zentralismus“ misstrauen. Messerscharf schließt der Landeshauptmann: „Wäre Österreich ein zentralistischer Staat, hätte Wien heute wahrscheinlich drei Millionen Einwohner.“
Er versicherte, dass im Zuge der Verwaltungsreform die Zuständigkeiten der Länder ausgebaut werden müssten, vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich. Dies läge nicht nur im Interesse der Bevölkerung, die mehrheitlich eine positive Meinung vom Föderalismus hätte, sondern würde auch seinem Staatsverständnis entsprechen: „Die Länder sind eigenständige Mitglieder des Bundesstaates. Sie sind keine nachgeordneten Organe des Bundes. Bund und Länder haben daher auf Augenhöhe aber auch mit Augenmaß miteinander umzugehen.“
Natürlich hat das für den Landeshauptmann nichts mit Kleinstaaterei oder Kantönligeist zu tun. Allerdings hielt diese auch bei anderen Gelegenheiten immer wieder vorgetragene Beteuerung den Auftraggeber der Studie nicht davon ab, schon einmal abfragen zu lassen, ob es den OberösterreicherInnen von „Gesamtösterreich losgekoppelt“ besser ginge. Immerhin 20 Prozent sind dieser Meinung, für 22% macht es keinen Unterschied und 38 % glauben, es würde schlechter werden.
Das sind erstaunliche Werte. Im für sein Unabhängigkeitsbestreben bekannten Schottland glaubt nicht mehr als ein Drittel der Befragten, dass die Unabhängigkeit eine Verbesserung der Situation mit sich brächte. Eigentlich ist dies aber auch wieder nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, wie sehr das Image des „besten Bundeslandes“, angeführt von seinem besorgten Landesvater mit hohem Aufwand gepflegt wird. So sind gegenwärtig landauf landab Plakate zu bestaunen, auf denen der Landesvater zum Kampf gegen Diabetes aufruft. Am 7. Mai wird er im Oberbank Donau Forum bei einer Podiumsdiskussion seine Kompetenz unter Beweis stellen.

Schritt für Schritt – Passo doppo Passo

Letzte Woche hatte ich eine beeindruckende Begegnung. Auf Einladung einer langjährigen Bekannten nahm ich im Kulturzentrum „Alter Schlachthof“ in Wels an einem Begegnungsabend mit einer Gruppe aus dem Piemont teil.

Schon seit einiger Zeit verfolge ich über face-book dieses Projekt einer „laizistischen Pilgerreise“ von Borgo San Dolmezzo nach Auschwitz. Eine Gruppe von Theaterleuten der Compania Il Melarancio um Gimmi Basilotta wandert, logistisch unterstützt, Schritt für Schritt entlang der Bahnstrecke, auf der im Februar 1944 von den Nazis eine Gruppe von 26 Juden, die im Polizeigefängnis von Borgo inhaftiert waren in das Vernichtungslager deportiert wurden.
Jeden Morgen um 8 Uhr wird vom jeweiligen Bahnhof losmarschiert, unterwegs trifft die Gruppe mit Menschen entlang des Weges zusammen, abends kommt es meist zu Begegnungen mit Menschen aus den jeweiligen Etappenzielen.
Über 70 mal, Etappe für Etappe, vom äußersten Westen Italiens, vom Piemont über die Lombardei, das Trentino, Tirol, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Mähren nach Schlesien. Dort liegt Auschwitz.
Die Gruppe durchwandert die Mitte Europas, wie es viele vor ihnen in der Geschichte auch getan haben. Sammelt Eindrücke, rekonstruiert Vergangenes, das sich den dazu Bereiten im allseits Gegenwärtigen darbietet. Behutsam, Schritt für Schritt, wie es nur Wandernden möglich ist.
Die Gruppe der Deportierten, deren nicht mehr vorhanden Spuren die Pilger so nahe wie möglich kommen wollen hatte diese Möglichkeit nicht. Eingepfercht in Güterwaggons der Deutschen Reichsbahn, verängstigt und geplagt von Ungewissheit haben sie wahrscheinlich wenig von der Gegend mitbekommen. Drei Tage dauerte ihre Fahrt in die Vernichtung.
Die laizistischen Wallfahrer wollen daran erinnern, sich selbst und alle Menschen, die ihnen auf ihrem behutsamen Weg durch die Mitte Europas begegnen.
Sie machen das zu einem Zeitpunkt, wo die Erinnerung an das Vergangene in selbstgerechter Ritualisierung erstarrt, während gleichzeitig die Bedingungen dafür, dass sich Geschichte wiederholen kann wachsen.
Es war beeindruckend, mit der Gruppe zu reden, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Es ist motivierend zu erfahren, was Erinnerung bewegen kann. Es ist notwendig nachzuahmen, was unsere Freunde aus dem Piemont tun, sich einzulassen, auf die Menschen, denen wir überall begegnen können, wenn wir uns die Zeit dazu nehmen.
Link zum Projekt: http://www.viaggioadauschwitz.com

Gerhard Botz ist 70 – Happy Birthday.

Letzte Woche vollendete Gerhard Botz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien seinen 70.Geburtstag. Er gilt als Begründer der Historischen Sozialwissenschaft in Österreich und international als der bedeutenste österreichische Faschismusforscher. Die beigefügte Rede habe ich am Freitag, den 18.3.2011 als laudatio anläßlich einer Feier in den Räumlichkeiten des Ludwig Boltzmann Geschichte Clusters in Wien gehalten.
„Querdenken als forschungsleitendes Prinzip – Gerhard Botz und der Versuch der sozialwissenschaflichen Wendung der Geschichtswissenschaft“ – Rede von Josef Weidenholzer

Diesen Vortrag zu halten ist für mich eine große Ehre und eine große Herausforderung. Eine Ehre, weil er über Gerhard Botz, einen Historiker von europäischem Rang han-deln soll, mit dem mich zudem eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet. Eine Herausforderung, weil ich kein Historiker bin und daher nicht über die inter-nen Befindlichkeiten der Disziplin Bescheid weiß und wohl auch nicht befugt bin, den Entwicklungsstand des Faches zu qualifizieren.
Mein Fach ist die Sozialpolitik. Meine Disziplin ist damit beschäftigt, das zu reparie-ren, was andere Disziplinen – insofern deren Prinzipien verabsolutiert und dogmatisch verengt zur Anwendung kommen – kaputt machen. Die Sozialpolitik wurde so in den letzten beiden Jahrzehnten zum Reparaturbetrieb der gesellschaftlichen Folgen der in ihrer Methodik neoklassisch und ihrer ideologischen Ausrichtung neo-liberal gewendeten Nationalökonomie.
Mein Interesse an der Geschichte ist nicht zuletzt aus diesen Gründen wieder er-wacht, insofern bin ich ein äußerst Interessierter. Vor allem aber auch als Politiker bin ich besorgt darüber, ob sich nicht manches zu wiederholen beginnt. Dieses durchaus praktische Interesse an Geschichte war es auch damals, das mich Anfang der 1970-er Jahre an das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte und das mit ihm eng verzahnte Boltzmann Institut für die Geschichte der Arbeiter-bewegung an der damaligen Hochschule für Sozial -und Wirtschaftswissenschaften, der heutigen Johannes Kepler Universität in Linz brachte.
Seit dieser Zeit war ich in engem Kontakt mit Gerhard Botz, zunächst als Student, später dann als Kollege und Zimmergenosse am Institut. Die 1970-er Jahre waren Jahre der Veränderung und des Wandels. Hätte sich eine neugegründete Hochschule wohl bessere Startbedingungen wünschen können?
Bevor ich zum eigentlichen Kern meines Vortrages, der Frage, wie es zur sozialwissenschaftlichen Wendung der österreichischen Geschichtsforschung, insbesondere der Zeitgeschichte kam und welchen Anteil Gerhard Botz daran hatte, darf ich es nicht verabsäumen, die damalige Situation kurz zu skizzieren.
Österreich befand sich dank des neuen Schwungs, der mit Kreisky in die gemächlich vor sich hin treibende Politik Einzug gehalten hatte in einer Aufbruchsstimmung. Das Neue setzte sich gegen das Alte und das Originelle gegen das Einfallslose durch…

Perspektiven der Sozialwirtschaft im europäischen Kontext

Keynote Rede im Rahmen der INAS Fachkonferenz
von 24. – 25. Fenruar 2011 in Linz

Die Ausgangslage
Ich freue mich sehr über die Einladung, heute als key-note speaker das Wort bei dieser wichtigen Tagung ergreifen zu dürfen.
Ich empfinde es generell als wichtig, Impulse zu setzen, die über den Tellerrand der Suppe, die man tagtäglich auslöffeln muss, hinausweisen. Solche Initiativen verleiten ja auch dazu, darüber nachzudenken, ob man es nicht einmal mit einer anderen Kost versuchen sollte.
Jede Profession braucht diese Möglichkeit, nachzudenken, ob der Rahmen, in den man gesetzt ist noch der richtige ist, ob er veränderbar ist bzw. ob er verändert werden soll. Gibt es diese Möglichkeit nicht und ist die Profession dazu nicht bereit dann droht die vor Selbstzufriedenheit strotzende Routine in einem Stillstand zu münden, der häufig dem Kollaps vorher geht.
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Alles freiwillig

Letzte Woche fand in der Salzburger Resistenz unter großem Pomp der Österreichauftakt des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft statt. Militärmusik (!?), Einsatzfahrzeuge der Blaulichtorganisationen, die Landeshauptfrau, der zuständige Bundesminister und das Staatsoberhaupt wurden aufgeboten, um zum Ausdruck zu bringen wie wichtig die Freiwilligentätigkeit für die Republik ist. Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft nahmen das gerne zur Kenntnis. Dem Vernehmen nach war der Andrang so groß, dass bei weitem nicht alle Interessierten eingeladen werden konnten.
In den Festreden wurde ausführlich die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements und der ehrenamtlichen Tätigkeit gewürdigt und darauf hingewiesen welche großartigen Leistungen in Österreich auf diesem Gebiet erbracht werden.
So viel Lob hört man gerne, noch dazu wo diese Tätigkeit oft unbedankt geschieht.
Als wir vor ein paar Jahren begannen, auf europäischer Ebene die Ausrufung des Europäischen Jahres zu lobbyieren da hatten wir durchaus diesen Aspekt im Sinn. Wir wollten aber auch, vor allem in Zeiten der wachsenden Politikverdrossenheit und der um sich greifenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche, eine europäische Diskussion über die Notwendigkeit der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements in Gang bringen, um die aktive Beteiligung der Menschen an der Lösung gesellschaftlicher Probleme zu stärken. Die Kräfte des Gemeinsinns sollten ein Forum bekommen.
In der Tat widerlegen ja die vielen Millionen Menschen, die sich freiwillig in den Dienst der Sache der Gemeinschaft stellen, ohne vom Staat dazu gezwungen oder von der Aussicht auf lukrative Bezahlung dazu bewogen zu werden, eindrucksvoll den Glaubensatz der Ökonomie, dass der Mensch ein homo oeconomicus ist. Menschen engagieren sich offensichtlich auch aus altruistischen Motiven.
Das Europäische Jahr sollte daher nicht nur zum Feiern animieren, vielmehr den Rahmen für eine überfällige Debatte liefern, wie die Freiwilligentätigkeit unter den geänderten Rahmenbedingungen noch wirksamer werden kann.
Freiwilligentätigkeit ist ein sehr wertvolles, ja kostbares Gut. Menschen, die sich dazu entschließen verdienen daher nicht nur öffentliches Lob, sie verdienen im Besonderen einen respektvollen Umgang.
Deren großzügiges Entgegenkommen, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, darf nicht missbraucht werden.
Gerade in Zeiten der Sparpakete geistern in den Köpfen so mancher politisch Verantwortlicher Ideen herum, die Sozialbudgets durch einen Ausbau der Freiwilligendienste entlasten zu können. Zumeist werden solche Phantasien auf dem Rücken der Frauen ausgelebt. Diese sollen sich wieder verstärkt der Pflege und Betreuung zuwenden und professionelle Dienstleistung ersetzen. Dies ist ein klarer Missbrauch der Freiwilligentätigkeit. Solchen Sandkastenspielen muss mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Ebenso respektlos finde ich es, wenn von Jugendlichen bereits bei Studienbeginn oder bei der Arbeitsaufnahme erwartet wird, Erfahrungen im Sozialbereich vorzuweisen. Diese können zumeist nur im Wege der Freiwilligentätigkeit erworben werden. Es darf nicht sein, dass im Sozialbereich eine Generation von Menschen heranwächst, die sich durch kostenlose oder schlecht bezahlte Praktika auf ihre künftige Tätigkeit qualifizieren muss.
Wenn die politisch Verantwortlichen ihre Lobeshymnen auf Freiwilligkeit und Ehrenamt, auf aktive Bürgerschaft und ziviles Engagement wirklich ernst nehmen, dann müssen sie sich mit diesen Bedenken auseinandersetzen. Dann müssen sie einen kritischen Dialog führen, Wege der Partizipation beschreiten und die Zivilgesellschaft nicht als lästiges Bedrohungspotenzial empfinden, wie dies der Innenministerin regelmäßig passiert.
Dann sollten sie auch alles daran setzen, parteipolitische Vereinnahmung zu unterlassen, wie dies just zum Auftakt des Freiwilligenjahres der oberösterreichische Landeshauptmann tat, als er, mittels mit seinem Konterfei geschmückten Anzeigen in den regionalen Medien, den Menschen für ihre freiwillige Arbeit dankte. Da kann man nur sagen: Nein, danke!
Europäische Website:
http://europa.eu/volunteering/de/home2
Österreichische Website:
http://www.freiwilligenweb.at/

Wer zu spät kommt…………


Auf das österreichische Außenministerium ist Verlass. Seit Freitagnachmittag findet sich auf der Homepage neben den üblichen Hinweisen, nicht in das Grenzgebiet zum Sudan und zu Libyen zu reisen, Einkaufszentren, Moscheen und koptische Kirchen zu meiden und in den küstennahen Gewässern vor Sharm el Sheikh auf aggressive Haie zu achten, auch eine generelle Reisewarnung. Es wird auf das nächtliche Ausgehverbot hingewiesen. Wir erfahren darüber hinaus, dass dies für die Touristenorte Sharm el Sheikh und Hurghada nicht gilt. Für viele Landsleute scheint sich damit ein Drama anzubahnen. Was ist, wenn das nächtliche Ausgehverbot auch auf diese Region ausgedehnt wird? Den langersehnten Badeurlaub am Roten Meer absagen? Noch dazu jetzt, wo die Semesterferien vor der Tür stehen? Und überhaupt.
Für viele kamen die Entwicklungen überraschend. Ägypten, das sind die Pyramiden, Nilkreuzfahrten, kostengünstige Badeurlaube am Roten Meer und für besonders Wagemutige prickelnde Begegnungen mit einem Hai. Manche wissen auch, dass das Gros der immer freundlichen Kronenzeitungsverkäufer aus diesem Land stammt. Besonders empathische Landsleute sorgen sich um die mit Verfolgung und Unterdrückung konfrontierten koptischen Christen. Die politisch Informierten wissen das Land als ein Bollwerk gegen den immer stärker werdenden Islamismus in dieser Region zu schätzen. Und überhaupt wollen„wir“ nicht wirklich was mit denen zu tun haben.
80 Millionen Menschen, die alle an unsere Futtertröge wollen. Aber, keine Angst! Im abgelaufenen Jahrzehnt wurden lediglich um die 5000 davon in Österreich eingebürgert. Die Abschottung gegenüber Ägypten funktioniert. Auch im Kopf. Niemand hierzulande schien daran interessiert zu sein, dass am Nil schon seit einigen Jahren viele Menschen begonnen haben über eine demokratische Zukunft nachzudenken, in der Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einen wichtigen Platz einnehmen sollen. Das Interesse der europäischen Politik daran hielt sich in Grenzen.
Zwar hat die Europäische Union im Rahmen des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) politische und soziale Reformen eingemahnt und in den letzten fünf Jahren € 30 Millionen, gerade einmal 7% der gesamten Mittel des Programms, für die Förderung einer „verantwortungsvollen Staatsführung“ zur Verfügung gestellt. Dabei wird explizit auf das Ziel der Stärkung der Zivilgesellschaft verwiesen und ganz auf die Sprache der Diplomatie fixiert, verlogen gefordert, „die ägyptischen Anstrengungen zur Förderung der Versammlungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit und zur Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Unabhängigkeit der Medien“ zu unterstützen.
So ist es leider, wenn Europa gefordert ist. Man erkennt das Problem, setzt Maßnahmen, halbherzig und unbestimmt, und wird von den Entwicklungen überrascht. Mit elementarer Gewalt verschafft sich dann die Geschichte Platz und schafft Fakten.
Uns bleibt der Trost: Wir hätten es ja gewusst und beinahe wäre es uns auch gelungen, dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Beinahe eben. Oder wie es der Volksmund sagt: „Wenn das Wörtchen wenn nicht wär….“

Was geht uns Ungarn an?

Es braut sich etwas zusammen bei unseren ungarischen Nachbarn. Das Land ist aus den Fugen geraten. Wie bei einem Erdrutsch. Bislang scheinbar Festgefügtes gerät in die Mühle eines zähen und stetigen Vorgangs, dem nichts standhält, wenn es einmal davon erfasst ist. Victor Orban hat bei den Parlamentswahlen im Frühling letzten Jahres in der Tat einen Erdrutschsieg errungen: Mehr als fünfzig Prozent. Nach dem ungarischen Wahlrecht, das dem liberalen Geist der Wendejahre entsprechend Mehrheiten begünstigt, bedeutet das eine satte Zweidrittelmehrheit und einen Freibrief für Machtbesessene. Machtbesessen ist er, der Herr Orban. Lange brauchte er, um seine Abwahl als Ministerpräsident im Jahr 2002 und die knapp verfehlte Rückkehr vier Jahre später zu überwinden. Fortan setzte er alles daran, die sozialistische Regierung zu destabilisieren. Was durch deren desaströse Fehler zweifellos erleichtert wurde.
Der „Puszta –Putin“, wie ihn die bürgerliche deutsche „Welt“ nennt, konnte vor allem auch deswegen reüssieren, weil die wirtschaftliche Lage des Landes katastrophal, die sozialen Auswirkungen der Reformen schrecklich und die Stimmungslage in der Bevölkerung, insbesondere bei den Modernisierungsverlierern, depressiv und verzweifelt war.
Ganz unschuldig an der Misere, die er erfolgreich den Sozialisten anlastete, war er freilich nicht, hatte er doch in seiner ersten Amtszeit, als er noch Vizepräsident der Liberalen Internationale war, einen eindeutig wirtschaftsliberalen Kurs verfolgt.
Zum Konservativen mutiert hielt er es künftig mit traditionellen Werten und der Vorliebe für autoritäre Lösungen. Besonders aber hat es ihm die Vergangenheit angetan. Der Vertrag von Trianon (1920) beispielsweise. Dieser hatte das Land auf seine heutige Größe reduziert und wird von ungarischen Nationalisten zur nationalen Demütigung stilisiert.
Orban spielte gekonnt auf dem nationalen Klavier und das ganze Land versank in einem nationalen Rausch. Schuld an der ungarischen Misere waren fortan das Ausland oder die Juden. Die Schmach, die man den Ungarn einst angetan hatte, müsse getilgt werden.
Auf dieser nationalistischen Welle wurde Orban zum Sieg getragen. Doch der Geist ist – einmal geöffnet – aus der Flasche gefahren. Neue radikalere Strömungen wie die rechtsradikale Jobbik Bewegung – Herrn Straches ungarische Freunde – reden bereits offen einer Revision der Grenzen das Wort, prügeln auf Roma ein und greifen zu wilden Verschwörungstheorien.
Orban steht unter Druck. Unter dem der militanten Rechtsableger und dem, den er sich selbst mit seinen vollmundigen Versprechungen auferlegt hat. Ungarn soll sich radikal verändern, rasch und nachhaltig. Jene, die sich in den Weg stellen werden aus dem Weg geräumt. Anlassbezogen wird die Verfassung verändert, ein untrügerisches Zeichen für autoritäre Regime. Von „nationalen Angelegenheiten“, von der Pflicht zur „nationalen Zusammenarbeit“ ist die Rede, und der 4. Juni wird zum Tag der „Nationalen Einheit“ erklärt, im Gedenken an den „Diktatfrieden“ von Trianon, um „alle Landsleute in der Region an die größte Tragödie Ungarns im 20. Jahrhundert“ zu erinnern. Die Region da ist nicht nur Ungarn, das ist die Slowakei und Rumänien, aber auch Kroatien, die Vojvodina, die Karpato – Ukraine und das Burgenland.
Abgesehen davon, dass es wohl größere Tragödien in der Geschichte Ungarns gegeben hat, ist dieser Akt eine revanchistische Provokation sondergleichen: Aufruf zu nationalistischen Querelen, Anstiftung zu Missachtung und Hass bis zur Forderung nach Revision der Grenzziehung. Und das im Vereinten Europa! So, als ob es nach dem großen Krieg, der im Übrigen eine Revision des „Friedensdiktates“ von Versailles zum Ziel hatte, keinen Versöhnungsprozess gegeben hätte. Die Vorgänge in Ungarn sprechen der europäischen Idee Hohn aus.
Das alles ist brandgefährlich. Auch in Jugoslawien hat es ähnlich begonnen, als der Nationalismus begann, die Gehirne der Menschen zu zersetzen. Lassen wir es nicht zu, dass der ungarische Bazillus ganz Europa befällt. Der Nationalismus bedroht den Frieden und gefährdet den Wohlstand. Die Zukunft Europas wird heute in Ungarn verteidigt.

„Es wäre besser, wenn das Land einen König hätte oder eine Königin“

Seit Tagen geht mir ein Interview, das Conny Bischofberger im Neujahrs-Kurier mit dem österreichischen Milleniumsbaby führte, nicht aus dem Kopf.
Das junge Fräulein hat gerade ihren zehnten Geburtstag hinter sich gebracht und lebt mit Ihrer Mutter, einer Katze und zwei Echsen in einer kleinen, liebevoll eingerichteten Gemeindewohnung im Pirquethof in Wien – Ottakring. Die öffentlichen Flächen in der Wohnanlage meidet sie, weil „dort so viele Ausländerkinder sind“. Diese mag sie nicht, weil sie auf „Türkisch und Jugoslawisch“ mit ihr schimpfen, die „Fahrräder zerlegen“ und die „Bänke beschmieren“. Und „wenn der Hausbesorger die Stiege geputzt hat, spucken sie drauf.“ Cleopetra hingegen – auch ein „Ausländerkinderkind“ – mag sie. Mit ihr geht sie gemeinsam zur Schule.
Die kleine Beatrice scheint ein nettes, vernünftiges und wohlerzogenes Mädchen zu sein, sie ist lieb zu ihren Tieren und lernt in der Schule, wie man sich selbst organisiert. Sie ist mit ihrem Leben zufrieden, sparsam und auch auf dem neuesten Informationsstand: Sie selbst liest Heute und über die Omis hat sie Zugang zum Kurier und zur Kronenzeitung.
Reiche mag sie nicht, die findet sie zickig und ekelhaft: „Lieber nett sein und nicht so viel Geld haben.“ Politiker findet sie langweilig und streitsüchtig, obwohl sie eigentlich „nur den Netten, Dicken … den Bürgermeister“ kennt. Am besten wäre es, wenn das Land eine Königin hätte: Miley Cyrus, Katy Perry oder Lady Gaga etwa.
Wie soll man das bewerten? Als Menetekel, was auf uns in zehn oder zwanzig Jahren zukommen wird? Als Signal, nun endlich etwas zu tun und die Sorgen der Menschen ernst zunehmen, auch wenn man die Dinge anders einschätzt? Als Aufforderung, endlich in Politische Bildung zu investieren? Oder ist es einfach ein Gespräch mit einem (fast noch) Kind? Letzteres trifft auf jeden Fall zu. Aber heißt es nicht auch zutreffend: „ Kindermund tut Wahrheit kund.“
Außerdem sollte man die Rolle der Interviewerin hinterfragen. Interviews mit Kindern sind zumindest aus sozialwissenschaftlicher Sicht mit allergrößter Sorgfalt zu führen. Könnte es nicht sein, dass sich die Journalistin allzu selbstverständlich vom Vordergründigen leiten ließ und somit Vorgefasstem Vorschub leistete? Viel Prosa und wenig valide Fakten. Eine gute Story.
Und wenn dem so wäre, dass die vorgefasste Meinung solche Bilder präferierte, wäre das dann nicht das eigentliche Problem? Medien, die das Politische konstant heruntermachen, indem sie dessen Problemlösungsfähigkeit negieren und seinen AkteurInnen bloß Langeweile attestieren, mögen zwar in Detailaspekten Recht haben, insgesamt aber unterminieren sie die Legitimität der Demokratie.