Das EU-Parlament soll noch vor Weihnachten über den geplanten Aufbau eines Systems zur Sammlung von Fluggastdaten (PNR) abstimmen. Informationen von Flugreisenden sollen dabei europaweit an den Staat übermittelt werden und für fünf Jahre gespeichert werden. Netzaktivisten sehen darin eine Vorratsdatenspeicherung in der Luft und haben eine Kampagne gestartet, um die EU-Abgeordneten auf ihre Bedenken aufmerksam zu machen.
Airlines wie die AUA oder Lufthansa speichern die Fluggastdaten von Passagieren, das sind sogenannte „Passenger Name Records“ (PNR). Im Rahmen eines höchst umstrittenen aber vom EU-Parlament gebilligten Abkommens mit den USA werden die Fluggastdaten von allen Reisenden in die USA übermittelt. Nun will auch die EU – zum Zweck der Terrorismusbekämpfung – auf die Daten der Flugreisenden zugreifen. Die Daten sollen dabei an eine PNR-Zentralstelle, die von den EU-Mitgliedsstaaten eingerichtet werden soll, gespeichert werden – und zwar für insgesamt fünf Jahre (nach zwei Jahren sollen die Daten „pseudoanonymisiert“ werden). „Mit dieser neuen Vorratsdatenspeicherung von Fluggasdaten höhlt die EU ein weiteres mal den Rechtsstaat aus und stellt alle Reisenden unter Generalverdacht. Die Auswertung von Fluggastdaten ist völlig unverhältnismäßig und muss abgelehnt werden“, kritisiert Alexander Sander von der Initiative NoPNR.
Was wird gespeichert?
Unter PNR-Daten fallen dabei nicht nur die Informationen, wann ein Passagier wohin geflogen ist und für welchen Zeitraum, sondern neben dem Namen des Passagiers werden auch die Adresse, Telefonnummer, die Sitzplatz-Nummer, die Kreditkartennummer, Essenswünsche und Informationen über den Gesundheitszustand (z.B. falls jemand einen Rollstuhl benötigt) sowie Informationen über Mitreisende. Zusätzlich werden etwaigige Hotel- und Mietwagenbuchungen vermerkt. Ein PNR-Datensatz enthält in Summe etwa 60 Angaben aus 19 verschiedenen Kategorien (siehe auch linke Spalte).
Die Initiative NoPNR hat zusammen mit der Digitalen Gesellschaft in Deutschland und dem Verein für Internet-Benutzer Österreichs eine Kampagne gestartet. Damit soll die Bevölkerung über das Vorhaben aufgeklärt werden. „Mit der Kampagne wollen wir außerdem das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten abfragen und transparent machen. Zugleich können die Bürger so auf ihre Bedenken aufmerksam machen und die Abgeordneten auffordern, gegen diese ungeheuerliche Überwachungsmaßnahme zu stimmen, die alle Reisenden per se wie Verdächtige behandelt“, erklärt Alexander Sander von NoPNR gegenüber der futurezone. Derzeit lassen sich über die Kampagneösterreichische und deutsche EU-Abgeordnete kontaktieren.
Entscheidende Abstimmung vor Verschiebung
Es soll – laut derzeitigem Plan – bereits am Montag, den 17. Dezember 2012, im federführenden LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments über eine Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung in Europa abgestimmt werden (diese Abstimmung gilt normalerweise als richtungsweisend für die End-Abstimmung im Plenum). Die Abstimmung könnte jedoch noch verschoben werden.
Bei manchen EU-Abgeordneten sind die Bedenken der Datenschützer und Netzaktivisten bereits angekommen. Für eine Verschiebung setzt sich vor allem der SPÖ-EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer, selbst Mitglied im LIBE-Ausschuss, ein. Man sei zuversichtlich, dass eine Mehrheit für eine Verschiebung – bestehend aus S&D, Grüne, Linke und Liberale – zustande komme, heißt es aus dem Büro des EU-Abgeordneten. Setze man sich bei der Forderung durch, die Abstimmung zu verschieben, so bleibe noch Zeit, dagegen aufzutreten, heißt es in einer Aussendungdazu.
„Kein konkreter Nutzen“
Weidenholzer lehnt die EU-PNR-Richtlinie derzeit strikt ab. „Einen konkreten Nutzen des US-PNR-Abkommens konnte bisher niemand überzeugend erklären, dafür wurde bereits bekannt, dass auch rechtswidrig auf Daten zugegriffen wird“, sagt Weidenholzer zur futurezone. „Die große Ansammlung an Daten schafft mehr Probleme als sie löst.“ Nun ein EU-PNR zu beschließen, wäre für Weidenholzer „fahrlässig“. „Wir brauchen keine Fluggastdatenspeicherung in Europa.“
Neben Weidenholzer äußert sich auch der deutsche EU-Abgeordnete Jan Albrecht, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, ablehnend gegenüber der geplanten EU-Richtlinie. „Wir Grünen haben die Passagierüberwachung von Anfang an klar abgelehnt, auch wenn nur Flüge über die EU-Außengrenzen erfasst würden. Ich werde dafür kämpfen, dass die Passagierüberwachung insgesamt verhindert wird, weil sie völlig unnötig und unverhältnismäßig ist“, erzählt Albrecht der futurezone.
Viel Kritik an geplanter Richtlinie
Auch die Europäische Grundrechtsagentur (FRA), der Rechtsdienst des Rates der Europäischen Union, der Europäische Datenschutzbeauftragte, die Artikel-29-Datenschutz-Gruppe der EU-Kommission und der deutsche Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, sehen massive rechtliche Bedenken bei der Auswertung von PNR-Daten. „Alle Fluggäste sollen auf der Grundlage der Daten einer `Gefahrenanalyse` unterzogen werden. Dies komme einer Rasterfahndung sehr nahe“, so Schaar.